Gesellschaft Medien Politik Webfundstück Wissenschaft

Seymour M. Hershs Syrien-Giftgas-Artikel auf deutsch

Syrienkrieg: Der mehrfach ausgezeichnete us-amerikanische Investigativjournalist Seymour M. Hersh – Gewinner des Publitzer-Preises und fünffacher Gewinner des George Polk Award – hat in einem Anfang 2014 erschienen Artikel („Whose sarin?„) sowie einem darauffolgenden Bericht („The Red Line and the Rat Line. Seymour M. Hersh on Obama, Erdoğan and the Syrian rebels„) aufgezeigt, dass die syrische Regierung höchstwahrscheinlich nicht für den Giftgasanschlag im syrischen Ghouta bei Damaskus verantwortlich war, sondern eher Erdogans türkische Regierung und die radikal-islamistische Al-Nusra-Front, der syrische Arm der Al Kaida. Es handelt sich bei dieser Attacke um DEN Giftgasangriff in Syrien, von dem immer in den Medien die Rede ist und der dort immer der Assad-Regierung zugeschrieben wird. Der Artikel „Whose sarin?“ ist unter dem Titel „Wessen sarin?“ auch in einer kompletten deutschen Übersetzung im Netz zu finden. Unter dem Titel „Rote Linie, Rattenlinie. Giftgas, Bürgerkrieg und Krieg – Obama, Erdoğan und Syriens Rebellen“ gibt es im Internet circa ein Drittel des anderen genannten Artikels in einer auszugsweisen deutschen Übersetzung.

Hier ein kleiner Auszug vom Anfang und vom Schluss des Whose-sarin-Artikels:

„Barack Obama erzählte diesen Herbst nicht die ganze Geschichte, als er versuchte, Gründe dafür zu liefern, dass Bashar al-Assad für die Chemiewaffenangriffe vom 21. August in der Nähe von Damaskus verantwortlich sei. In einigen Fällen liess er wichtige Geheimdienstinformationen weg, und in anderen präsentierte er Vermutungen als Tatsachen. Und das Wichtigste: Er gab nicht zu, was den US-Geheimdiensten bekannt war: dass die syrische Armee nicht die einzige Partei im syrischen Bürgerkrieg ist, die Zugang zu Sarin hat, dem Nervengas, dessen Verwendung beim Raketenangriff eine Uno-Studie feststellte – ohne dabei die Frage der Verantwortlichkeit zu beurteilen. In den Monaten vor dem Angriff produzierten die amerikanischen Geheimdienste eine Reihe streng geheimer Berichte, die in einem formellen Einsatz-Auftrag [operations order] gipfelten – einem Dokument, mit dem die Durchführung eines Einsatzes geplant wird und das einer Invasion mit Bodentruppen vorausgeht – und das Belege dafür anführte, dass sich die al-Nusra-Front, eine dschihadistische Gruppe, die mit al-Kaida verbunden ist, die Herstellungsweise von Sarin-Gas zu eigen gemacht hatte und in der Lage war, es in grösseren Mengen herzustellen. Als der Angriff stattfand, hätte al-Nusra zu den Verdächtigen gehören müssen, aber die Administration nutzte die Geheimdienstinformationen sehr wählerisch, um einen Schlag gegen Assad zu rechtfertigen.

[…]

Die Uno-Resolution, die der Sicherheitsrat am 27. September annahm, hatte indirekt mit der Vorstellung zu tun, dass auch Rebellentruppen wie al-Nusra zur Entwaffnung verpflichtet würden: «Keine Partei in Syrien sollte [Chemie-, S.H.] Waffen benutzen, entwickeln, herstellen, erwerben, lagern, behalten oder weiterleiten». Die Resolution verlangt auch die sofortige Benachrichtigung des Sicherheitsrates für den Fall, dass irgendein «nicht-staatlicher Akteur» chemische Waffen beschafft. Keine Gruppe wurde namentlich erwähnt. Während das syrische Regime den Prozess zur Beseitigung seines chemischen Arsenals weiterführt, könnten ironischerweise al-Nusra und ihre islamistischen Verbündeten letztendlich als einzige Fraktion innerhalb Syriens bleiben, die nach der Zerstörung des Vorrates an Vorgängerstoffen Assads noch Zugang zu den Bestandteilen zur Erzeugung von Sarin hat – einer strategischen Waffe, die anders wäre als alle andern im Kriegsgebiet. Es könnte noch mehr zu verhandeln geben.“

Die Wikipedia im Seymour-M.-Hersh-Wikipedia-Artikel zur roten und Rattenlinie:

„In einem weiteren Investigativreport, The Red Line and the Rat Line, erschienen am 14. April 2014 im London Review of Books stellte Hersh die offizielle Darstellung der US-Regierung abermals in Frage. Laut Hershs weiterer Recherche habe der britische Geheimdienst Proben des eingesetzten Sarins analysieren können und festgestellt, dass die chemische Zusammensetzung des verwendeten Gases keinem der Fertigungslose im Bestand der syrischen Armee entsprach. Die dadurch entstanden Zweifel hätten Obama, über die Stabschefs vorgetragen, dazu veranlasst den Angriff auf Syrien nicht zu befehlen. Laut Hersh deute vieles darauf hin, dass der Sarinangriff nicht von der syrischen Regierung, sondern als eine Operation des türkischen Geheimdienstes und der Al-Nusra-Front unter falscher Flagge durchgeführt wurde, um die USA mittels der Vortäuschung eines Giftgasangriffs durch Assad zur Intervention in Syrien zu veranlassen.

Sowohl die Regierung in Washington als auch Ankara wiesen den Bericht zurück. Das US-Außenministerium erklärte, es bestehe kein Zweifel an der Urheberschaft des Giftgasangriffs durch syrische Regierungstruppen. Der türkische Vizepremier Bülent Arinc meinte, Hershs Ausführungen seien eine „glatte Lüge“.

Ein im Internet erschienener Gesprächsmitschnitt deckte auf, dass höchste türkische Regierungsmitglieder, darunter auch der Ministerpräsident Recep Tayyip Erdoğan einen Angriff unter Falscher Flagge planten, der die Absicht verfolgte, ein militärisches Eingreifen in Syrien zu provozieren. Seitens der türkischen Regierung wurde versucht, diesen Mitschnitt durch Internetzensur zu unterdrücken. Pierce Nahigyan sah in diesem Umstand eine Erhöhung der Glaubwürdigkeit von Hershs Anschuldigungen und schrieb: „Die Länder sagten, diese Verschwörung von Hersh ist zu schauerlich, um wahr zu sein. Ich bin sicher, Herr Hersh ist daran gewöhnt. Er hört es nun schon seit 1969.““.

Die Bemerkung „seit 1969“ bezieht sich hierbei darauf, dass Hersh 1969 mit der Aufdeckung des My-Lai-Massakers in Vietnam durch US-Truppen seinen internationalen journalistischen Durchbruch hatte und dabei (wie auch bei weiteren Arbeiten bis heute) „natürlich“ zuerst einmal nicht für voll genommen beziehungsweise diskreditiert wurde.

In dem Rattenlinien-Artikel schreibt Hersh dann bezüglich der Schuldigen für die Nervengasattacke:

„Je mehr abgefangene Meldungen und andere Daten mit Bezug zum 21. August man zusammentrug, desto stärker sahen sich die Nachrichtendienste in ihrem Verdacht bestätigt. „Wir wissen jetzt, daß es sich um eine verdeckte, von Erdoğans Leuten geplante Aktion handelte, die Obama über die red line stoßen sollte“, sagte der ehemalige Nachrichtendienstler. „Sie mußten die Situation mit einem Gasangriff in oder in der Nähe von Damaskus eskalieren, während die UN-Inspektoren“ – die am 18. August zur Untersuchung der anderen Giftgaseinsätze eintrafen – „dort waren. Es ging darum, etwas Spektakuläres zu tun. Unsere militärische Führung erfuhr von der DIA und anderen Geheimdiensten, daß das Sarin über die Türkei geliefert wurde – und daß das nur mit türkischer Unterstützung möglich gewesen war. Die Türken sorgten außerdem für die Ausbildung in Sachen Herstellung und Umgang damit.“ Erhärtet wurde diese Annahme zu einem Gutteil von den Türken selbst, so durch abgefangene Unterhaltungen im unmittelbaren Gefolge des Angriffs. „Wesentliche Beweise kamen unmittelbar nach dem Angriff in Form freudiger Gratulationen in zahlreichen abgefangenen Unterhaltungen der Türken. Operationen sind im Planungsstadium immer megageheim, aber damit ist in dem Augenblick Schluß, wenn es bei Gelingen ans Trommeln geht. Nichts macht einen anfälliger, als wenn die Täter den Erfolg für sich beanspruchen.“ Erdoğans Probleme in Syrien würden bald vorbei sein: „Das Gas geht hoch, Obama sagt red line, und Amerika greift Syrien an – oder wenigstens war das der Gedanke dahinter. Aber so ist es dann eben doch nicht gekommen.““.

Zwei Jahre später gibt es dann plötzlich neue Erkenntnisse zum berühmt-berüchtigten Giftgasangriff im syrischen Ghouta bei Damaskus: Telepolis schreibt in dem Artikel „Wer steckt hinter dem syrischen Giftgas-Angriff?“ unter anderem Folgendes:

„Der türkische Geheimdienst soll hinter dem Angriff stecken.

Mehr als zwei Jahre später sitzen am 21. Oktober 2015 zwei türkische Parlamentsabgeordnete an einem Tisch in Istanbul und erzählen ihre Version der Ereignisse. Eren Erdem und Ali Şeker heißen die beiden Co-Vorsitzenden der oppositionellen CHP-Fraktion im türkischen Parlament. Sie wollen neue Beweise vorlegen: Dafür, dass nicht die syrische Armee, sondern dschihadistische Milizen den Angriff ausgeführt haben. Und dafür, dass nicht Assad, sondern der türkische Geheimdienst hinter dem Angriff von Ghouta steckt.

Hintergrund der Pressekonferenz sind Ermittlungen eines Gerichts im südtürkischen Adana. Die Anklage warf dort 13 Türken vor, Giftgas von der Türkei nach Syrien geschmuggelt haben. Doch dem Gericht reichten die Indizien nicht für eine Verurteilung, es ließ die Männer nach drei Monaten wieder frei. Erdem und Şeker hatten nach eigener Aussage Einblick in die Gerichtsakten und kommen bei ihrer Pressekonferenz zu einer ganz anderen Bewertung als das Gericht.“.

Der genannte Telepolis-Artikel bezieht sich hinsichtlich des Giftgasangriffs auch noch auf eine Untersuchung us-amerikanischer Wissenschaftler (den genannten Bericht gibt es unter dem Titel „Possible Implications of Faulty US Technical Intelligence in the Damascus Nerve Agent Attack of August 21, 2013“ als PDF im Netz):

„Dieselben Karten haben sich Anfang dieses Jahres zwei Waffenexperten angesehen. Doch sie kommen zum gegenteiligen Ergebnis. In ihrem Bericht urteilten der ehemalige UN-Waffenkontrolleur Richard Lloyd und Professor Theodor Postol vom Massachusetts Institute of Technology (MIT), die Reichweite der eingesetzten Rakete sei zu kurz gewesen, als dass sie aus den damals von der Syrischen Armee kontrollierten Gebieten hätten stammen können. Im Gegenteil: Lege man die Karte des Weißen Hauses zugrunde, hätten sich am 21. August 2013 alle möglichen Abschussorte in der Hand der Rebellen befunden.“.

[UPDATE vom 28.2.2016: Hier ein weiterführender Artikel zu dem Bericht der beiden Wissenschaftler: „Zwei US-Forscher legen Studie zum Chemiewaffenangriff vom 21. August 2013 bei Damaskus vor: Washingtons Darstellung ist falsch„]

Zusammen mit den Recherchen Hershs ergeben diese Informationen ein ganz anderes Bild vom Giftgaseinsatz in Syrien als es wohl die meisten Bürger haben – und dieses andere Bild ist Syrienexperten wie auch mit dem Thema befassten Journalisten durchaus bekannt.

Sehr interessant ist übrigens, dass Professor Postol, der ja immerhin an der wohl renommiertesten technischen Universität der USA, dem MIT, arbeitet und ein ausgewiesener Fachmann ist, in dem englischsprachigen Wikipedia-Artikel über ihn hinsichtlich der von ihm untersuchten Giftgasattacke geradezu verleumdet wird. Anders kann man es kaum nennen. Dort heißt es lediglich: „Syria – Postol has investigated the Ghouta chemical attack, and he has collaborated together with Maram Susli (known online as ‚Syrian Girl‘) in investigating the incident through examining Youtube footage and other sources. Together they believe they found a number of items to be inconsistent with the conventional narrative of the incident. [26]„. Link „26“ verlinkt auf einen Artikel von Noah Shachtman und Michael Kennedy bei The Daily Beast mit dem bezeichnenden Titel „The Kardashian Look-Alike Trolling for Assad„. So geht Verleumdung … Der Mann hat wohl in ein Wespennest gestochen … Propaganda mag eben keine Wissenschaft. Auch ein Physikprofessor wird lächerlich gemacht und wenn er sich noch so sehr auf naturwissenschaftliche Erkenntnisse und Mathematik beruft … Unglaublich.

2010 war Hersh übrigens für die deutschen Medien – oder zumindest die Süddeutsche Zeitung – noch „der beste investigative Reporter der Welt“ (siehe auch Bild/Screenshot unten sowie natürlich den entsprechenden SZ-Artikel „Seymour Hersh im Interview – ‚Das Rätsel bleibt, wie Verrückte die Regierung übernehmen konnten'“) – dann schnüffelte er wohl zu viel im aktuellen Syrienkonflikt herum … Seine aktuellen Erkenntnisse zum „syrischen“ Sarin-Giftgas werden schön unter der Decke gehalten. Bekannt sind sie mit Sicherheit.

bester_welt

 

Spendenkonto für die Gerichtsverfahren gegen den Stern/Bertelsmann-Konzern

9 Kommentare

  1. …..
    ..Ich muss mich entschuldigen, dass ich direkt, noch ohne denn artikel von Higgins fertig gelesen zu haben, meinen vorigen Kommentar hier schrieb.
    Nach Wikipedia dachte ich:“ Da muss ja was dran sein.“ Ich mein natürlich es ist Wikipedia.. aber irgendwie..
    Gut ich habs geahnt, dass Schlussendlich nichts dran ist, an Higgins geschreibsel.
    Aber das es dann so schlimm und lächerlich ist, nicht nur der Text an sich, sondern ach die Person bzw die zwei Personen und derren ganzer Hintergrund..
    Nähme mich natürlich trotzdem Wunder ob ihr denn schon kantet und was ihr dazu denkt.
    mfg

Kommentar hinterlassen