Zwei spektakuläre Flugzeugabstürze in den letzten Monaten, zwei völlig unterschiedliche Behandlungen der Black Boxes der beiden Flugzeuge durch die Ermittler: Während der schwer beschädigte Voice Recorder des über den französischen Alpen abgestürzten Germanwings-Fluges 4U9525 schon einige Stunden nach dem Crash von den französischen Behörden ausgewertet wurde (der Datenrekorder wurde noch nicht gefunden) und erste Ergebnisse präsentiert wurden, gibt es zu den beiden mit leichten Schäden aufgefundenen Black Boxes des über der Ostukraine abgeschossenen malaysischen Verkehrsflugzeuges MH17 – sowohl der Stimmenrekorder als auch der Datenflugschreiber wurden gefunden – immer noch keine veröffentlichte Auswertung, und dies, obwohl es im letzteren Fall auch noch um Krieg und Frieden und weitere Menschenleben geht.
Der Germanwings-Flug 9525 fand am 24. März 2015 sein abruptes Ende. Die Ursache des Flugzeugunglücks ist noch nicht abschließend geklärt. Am frühen Abend des Unglückstages wurde der Stimmenrekorder von den Einsatzkräften am Unglücksort geborgen und zur Auswertung nach Paris gebracht. Schon am nächsten Tag berichteten die Medien über eine erste Auswertung dieser Black Box. So schreibt n-tv beispielsweise: „Experten lesen Audio-Datei von Rekorder aus. Den technischen Ermittlern ist es gelungen, eine hörbare Aufnahme des gefundenen Sprachrekorders zu sichern. Die zweite Blackbox, der Datenschreiber, wird noch immer vermisst. Die Flugbehörde BEA hat bei einer Pressekonferenz in Paris mitgeteilt, dass grundsätzlich verwertbare Aufzeichnungen aus dem Rekorder gewonnen werden konnten. Die Experten werten die gefundenen Aufnahmen nun aus.“.
Am 24. Juli 2014 schreibt die Tagesschau in dem Artikel „Niederlande untersuchen MH17-Black-Box – ‚Stimmenrekorder ist nicht manipuliert‘„: „Die Daten aus dem Stimmenrekorder der über der Ostukraine abgestürzten Malaysia-Airlines-Maschine sind nach Ansicht der niederländischen Ermittler nicht manipuliert worden. ‚Der Cockpitrekorder war beschädigt, aber die Speicher waren intakt‘, teilte der niederländische Sicherheitsrat mit. Die Niederlande leiten die Untersuchung zum mutmaßlichen Abschuss von Flug MH17, weil der größte Teil der Passagiere von dort stammte. Prorussische Separatisten, die die Absturzregion im Osten der Ukraine kontrollieren, hatten nach einigen Tagen die Black Box mit dem Stimmenaufzeichnungen aus dem Cockpit und dem Flugdatenschreiber zunächst an malaysische Behörden übergeben. Diese reichten sie an die niederländischen Experten weiter. Mittlerweile befinden sich der Flugdatenschreiber und der Stimmenrekorder in Großbritannien. Dort gelang es Spezialisten, die Daten zur weiteren Analyse herunterzuladen. Die Untersuchung der Informationen aus dem Flugdatenrekorder soll heute beginnen.“.
Weiter heißt es in dem Tagesschau-Bericht übrigens, dass russische Experten an der Auswertung der Flugschreiber beteiligt seien. Das ist falsch. Das Untersuchungsteam (Joint Investigation Team, JIT) besteht lediglich aus Ermittlern der Länder Ukraine, Australien, Belgien und Niederlande. Experten aus Malaysia oder gar Russland sind nicht Teil dieses Ermittlungsteams (vergleiche dazu auch die Artikel „MH17: Geheimabkommen aller vier Untersuchungsteamländer (Ukraine, Niederlande, Belgien, Australien)“ und bei „Tatverdächtiger ermittelt gegen sich selbst“ bei Blauer Bote). Lediglich die tatverdächtige Ukraine, die NATO-Staaten Niederlande und Belgien sowie die getreuen US-Allierten aus Australien entsenden Ermittler – international ausgewogen ist dieses Untersuchungsteam also mit Sicherheit nicht.
Die Flugdatenschreiber des Fluges MH17 wurden in Großbritannien bereits durch die oder im Auftrag der Niederländer ausgelesen. Spiegel Online schreibt am 8. August 2014 in dem Artikel „Abschuss über der Ukraine: Was Sie zur MH17-Untersuchung wissen müssen„: „‚Wir haben beide Flugdatenschreiber erfolgreich ausgelesen und analysieren jetzt die Aufzeichnungen‘, sagt Wim van der Weegen, Sprecher des niederländischen Sicherheitsrats OVV, der mit den Ermittlungen beauftragt ist. ‚Das ist ein Vorgang, der Zeit braucht.‘ Außerdem wolle man die Daten im Zusammenhang mit anderen Informationen betrachten; erst im Gesamtpaket würden die Angaben öffentlich gemacht. ‚Wir haben uns dagegen entschieden, Teilergebnisse bekannt zu geben‘, sagt van der Weegen.“. Weiter heißt es in dem Spiegel-Artikel: „Die Analyse übernähmen allerdings Mitarbeiter des niederländischen Sicherheitsrats. Nur das Auslesen selbst habe in Großbritannien stattgefunden.“.
Sowohl der Voice Recorder als auch der Flugdatenschreiber des Fluges MH17 – beide sollten gute Qualität liefern, da sie nur leicht beschädigt waren – wurden also bereits vor Monaten ausgelesen und die Ergebnisse werden nicht auch nur ansatzweise veröffentlicht. Und das gerade bei so einem wichtigen Thema für Europa und die ganze Welt (Ukraine-Konflikt, Sanktionen gegen Russland, Krieg im Donbass, neuer Kalter Krieg/Ost-West-Konflikt und Kriegsgefahr in Europa)! Im Falle des aktuellen Flugzeugunglücks von Flug 4U9525 wurden erste Ergebnisse des schwer beschädigten Voice Recorders umgehend veröffentlicht. Nun, auch hier gab es reges Medieninteresse. Aber warum können denn die zuständigen Ermittler die Ergebnisse der Analyse der MH17-Blackboxes nicht veröffentlichen?
Die offiziell gängige Theorie zu dem Abschuss von MH17 lautet, dass das Flugzeug von einer Buk-Rakete getroffen wurde. Die Bundesregierung und „der Westen“ geht davon aus, dass diese von den „pro-russischen Separatisten“ abgefeuert wurde (oder sogar von russischen Truppen), manche sagen auch, die Ukrainer hätten eine Buk-Rakete auf das Flugzeug abgefeuert. In diesem Fall – einem Treffer durch eine Rakete, die das Flugzeug durch eine Explosion in Stücke reißt – würde auf den Rekordern nichts oder nicht viel zu finden sein. Warum kann man diese Erkenntnis denn nicht veröffentlichen? Oder war vielleicht doch etwas anderes in der Rekordern zu finden?
Eine weitere Theorie zum MH17-Abschuß besagt, dass das Verkehrsflugzeug von einem ukrainischen Kampfflugzeug mit einer Luft-Luft-Rakete und dem Bordmaschinengewehr abgeschossen wurde (worauf auch Einschussspuren am und im Cockpit hinwiesen). Es wird in diesem Zusammenhang über die Möglichkeit einer bewußten Zurückhaltung beziehungsweise Vertuschung der Black-Box-Ergebnisse von MH17 spekuliert (denn das Flugzeug wäre im Falle eines Luftangriffs durch ein Flugzeug ja noch kurz geflogen, Audionachweise würden sich im Voice Recorder finden lassen – Stimmen, ein Knall, Einschussgeräusche oder dergleichen).
Die Frage, warum das JIT/der OVV bei MH17 keine Ergebnisse liefern kann, die französischen Behörden bei 4U9525 aber sehr wohl, sollte dringend beantwortet werden.
UPDATE: Vergleiche auch den neueren Artikel zum Absturz des Metrojet-Fluges über dem Sinai: “Explosion einer Bombe” – Flugschreiberauswertung wirft Fragen zu MH17 auf.