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Corona-Übung Event 201 im Oktober 2019

In New York wurde am 18. Oktober 2019 eine Simulation/Übung einer Corona-Pandemie veranstaltet. Diese wurde vom Johns Hopkins Center for Health Security zusammen mit dem Weltwirtschaftsforum und der Bill and Melinda Gates Foundation veranstaltet. Das Szenario hatte den Namen „Event 201“. Wenn der Sinn der Übung war, möglichst gut auf eine Coronavirus-Ausbreitung vorbereitet zu sein und Gegenmaßnahmen einzuüben, dann hat man wohl gnadenlos versagt. Oder die Übung hatte einen anderen Sinn.

„Ereignis 201 simuliert den Ausbruch eines neuartigen zoonotischen Coronavirus, das von Fledermäusen auf Schweine übertragen wird und schließlich von Mensch zu Mensch wirksam übertragbar wird und zu einer schweren Pandemie führt. Der Erreger und die von ihm verursachte Krankheit sind weitgehend an SARS angelehnt, aber er ist in der Gemeinschaft durch Menschen mit leichten Symptomen leichter übertragbar.“

An der Übung waren tatsächliche Verantwortliche oder „Ehemalige“ beteiligt, von Weltbank über Pharmaindustrie und Central Intelligence Agency (CIA) bis zum Director-General des Chinese Center for Disease Control and Prevention (China CDC). Hier die komplette Teilnehmerliste:

Player Title
Latoya Abbott Risk Management/Global Senior Director Occupational Health Services
Marriott International
Sofia Borges Senior Vice President
UN Foundation
Brad Connett President, U.S. Medical Group
Henry Schein, Inc.
Christopher Elias President, Global Development division
Bill & Melinda Gates Foundation
Tim Evans Former Senior Director of Health
World Bank Group
George Gao Director-General
Chinese Center for Disease Control and Prevention (China CDC)
Avril Haines Former Deputy Director
Central Intelligence Agency;
Former Deputy National Security Advisor
Jane Halton Board member
ANZ Bank;
Former Secretary of Finance & Former Secretary of Health, Australia
Matthew Harrington Global Chief Operating Officer
Edelman
Martin Knuchel Head of Crisis, Emergency and Business Continuity Management
Lufthansa Group Airlines
Eduardo Martinez President
The UPS Foundation
Stephen Redd Deputy Director for Public Health Service and Implementation Science
US Centers for Disease Control and Prevention
Hasti Taghi Vice President & Executive Advisor
NBCUniversal
Adrian Thomas Vice President, Global Public Health
Johnson & Johnson
Lavan Thiru Chief Representative
Monetary Authority of Singapore

Informationen zu der Corona-Übung finden sich auf der Website des Johns Hopkins Zentrums für Gesundheitssicherheit:

The Event 201 scenario

Players for Event 201, a pandemic exercise, include global business leaders and prominent government and public health leaders—livestream open to all

About the Event 201 exercise

Zur weiteren Information zur Entstehung und zum Charakter der Corona-Krise hänge ich hier noch eine Analyse des Seuchenexperten Dr. Wodarg von Ende Februar und ein aktuelles Interview mit der Virologin Prof. Mölling an.

Dr. Wolfgang Wodarg, Jahrgang 1947, ist Internist und Lungenarzt, Facharzt für Hygiene und Umweltmedizin sowie für öffentliches Gesundheitswesen und Sozialmedizin. Er arbeitete unter anderem als Amtsarzt in Schleswig-Holstein, Lehrbeauftragter an Universitäten und Fachhochschulen sowie Vorsitzender des Fachausschusses für gesundheitlichen Umweltschutz bei der Ärztekammer Schleswig-Holstein. 2009 initiierte er in Straßburg den Untersuchungsausschuss zur Rolle der Weltgesundheitsorganisation bei der Schweinegrippe. Seit 2011 ist er als freier Hochschullehrer, Arzt und Gesundheitswissenschaftler sowie ehrenamtlich bei Transparency International Deutschland engagiert.

Prof. Dr. Karin Mölling, Jahrgang 1943, ist eine international renommierte Virologin und Aids-Forscherin. Bis 2008 war sie Direktorin des Instituts für Medizinische Virologie an der Universität Zürich. Zudem leitete sie die Virusdiagnostik am Kantonsspital in Zürich. Seit den 1980er Jahren forscht Karin Mölling an Aids. Sie führte klinische Impfstudien durch und entwickelte eine neuartige Aids-Therapie. 2007 erhielt sie den Swiss-Award, mit dem herausragende Schweizer Persönlichkeiten ausgezeichnet werden. 2018 wurde ihr das Verdienstkreuz 1. Klasse des Verdienstordens der Bundesrepublik Deutschland verliehen. 2014 hat sie das Buch „Supermacht des Lebens – Reisen in die erstaunliche Welt der Viren“ veröffentlicht.

Die Panikmacher

Die Medien schüren zum Coronavirus die Angst.

Die Bilder in den Medien sind beängstigend und den Verkehr in den Städten Chinas regelt das Fieberthermometer. Der Karneval in Venedig wurde abgesagt, nachdem bei einem älteren sterbenden Klinikpatient der Test positiv ausfiel.

Als eine Handvoll Menschen in Oberitalien auch positiv getestet waren, machte Österreich gleich vorübergehend den Brenner-Pass dicht. Wegen eines Coronavirus-Verdachtsfalls dürfen über 1.000 Menschen ihr Hotel auf Teneriffa nicht verlassen.

Auf dem Kreuzfahrtschiff Diamond Princess konnten 3.700 Passagiere nicht von Bord. Anfang Februar wurden 126 Menschen aus Wuhan per Flugzeug nach Deutschland gebracht und blieben dort kerngesund über zwei Wochen in Quarantäne. Bei zwei der Gesunden wurden Coronaviren nachgewiesen.

Ähnliche Horrorszenarien gab es in den letzten zwei Jahrzehnten immer wieder. Doch die „Schweinegrippe-Pandemie“ der WHO war in Wirklichkeit eine der mildesten Grippewellen in der Geschichte und auf die „Vogelgrippe“ warten nicht nur die Zugvögel bis heute.

Wir messen derzeit nicht die Inzidenz von Coronavirus-Erkrankungen, sondern die Aktivität der nach ihnen suchenden Spezialisten. Alle Institutionen, die uns jetzt wieder zur Vorsicht alarmieren, haben uns schon mehrfach im Stich gelassen und versagt. Viel zu oft sind sie institutionell durch Sekundärinteressen aus Wirtschaft und/oder Politik korrumpiert.

Wer nicht leichtfertigen Panik-Meldungen hinterherlaufen, sondern lieber das Risiko einer sich ausbreitenden Infektion verantwortungsbewusst abschätzen möchte, muss sich solider epidemiologischer Methodik bedienen.

Dazu gehört, dass man das „Normale“, die Baseline anschaut, bevor man von etwas Besonderem sprechen kann. Bisher hat nämlich kaum jemand auf Coronaviren geachtet. So kommen sie zum Beispiel in den Berichten des Robert-Koch-Institutes (RKI) nur am Rande vor, weil es 2002 SARS in China gab und weil seit 2012 in Arabien einige Übertragungen von Dromedaren auf Menschen beobachtet wurden (MERS).

Von einer regelmäßig wiederkehrenden Anwesenheit der Coronaviren in Hunden, Katzen und Schweinen oder gar in Menschen auch in Deutschland steht da nichts. Kinderkliniken wissen meistens aber sehr wohl, dass ein nicht unerheblicher Teil der oft schwer verlaufenden Viruspneumonien auch bei uns regelmäßig durch Coronaviren verursacht wird.

Angesichts der bekannten Tatsache, dass bei jeder „Grippe-Welle“ auch immer 7 bis 15 Prozent der akuten Atemwegserkrankungen (ARE) auf das Konto von Coronaviren gehen, liegen die jetzt laufend addierten Fallzahlen immer noch völlig im Normbereich.

Es sterben bei den allwinterlichen Infektionswellen auch immer etwa einer von je tausend Erkrankten. Durch selektive Anwendung von Nachweisverfahren — zum Beispiel nur in Kliniken und medizinischen Ambulanzen — lässt sich diese Rate natürlich leicht in beängstigende Höhe treiben, denn jenen, die dort Hilfe brauchen, geht es meistens schlechter als jenen, die sich zu Hause auskurieren.

Seit dem Jahreswechsel hat sich der Fokus von Öffentlichkeit, Wissenschaft und Gesundheitsbehörden plötzlich total verändert. Einigen Ärzten in Wuhan (12 Millionen Einwohner) gelang es, mit anfangs weniger als 50 Fällen und einzelnen in ihrer Klinik Verstorbenen, bei denen sie Coronaviren als Erreger nachgewiesen hatten, weltweite Aufmerksamkeit zu erregen.

Die farbigen Landkarten, die uns jetzt auf Papier oder Bildschirmen gezeigt werden, sind eindrucksvoll, haben aber mit Krankheit zumeist weniger zu tun als mit der Aktivität von tüchtigen Virologen und Scharen von sensationslüsternen Berichterstattern.

Dort, wo solche Tests durchgeführt wurden — es standen in ganz Europa am 13. Februar 2020 knapp 9.000 Tests pro Woche in 38 Labors zur Verfügung — wurde man bisher fast immer bald fündig und jeder Fall wird zu einem sich selbst aufschaukelnden Medienereignis.

Allein dadurch, dass bei der Entdeckung einer Coronavirus-Infektion in deren Umgebung besonders intensiv gesucht wird, lassen sich viele regionale Häufungen bereits erklären. Die Horrormeldungen aus Wuhan waren etwas, worauf Virologen in aller Welt auf der Lauer liegen. Sogleich wurden die in den Kühlschränken vorhandenen Virusstämme gescannt und mit den gemeldeten Neulingen aus Wuhan fieberhaft verglichen.

Ein Labor an der Charité gewann das Wettrennen bei der WHO und durfte seine Inhouse-Tests weltweit zu einem Mehrfachen des üblichen Preises vermarkten. Man sollte sich jedoch lieber nicht für 200 Euro auf Coronaviren untersuchen lassen. Selbst bei einem nur leichten „grippalen“ Infekt besteht nach mehrjährigen prospektiven Untersuchungen in Schottland (von 2005 bis 2013) ein 7- bis 15-prozentiges Risiko, dass Coronaviren nachgewiesen werden.

Ein Nachweis von Coronaviren hätte für den Alltag der Untersuchten und ihre weitere Umgebung derzeit ernste Folgen, wie man allen Medien ohne langes Suchen entnehmen kann.

Der Befund selbst ist allerdings ohne klinische Bedeutung. Es ist lediglich einer von mehreren Namen für die akuten Atemwegserkrankungen (ARE), die in jedem Winter bei uns 20 bis 40 Prozent aller Menschen vorübergehend mehr oder weniger außer Gefecht setzen.

Die häufigsten Erreger akuter Atemwegserkrankungen waren nach einer guten Studie aus Schottland: 1. Rhinoviren, 2. Influenza-A-Viren, 3. Influenza-B-Viren, 4. RS-Viren und 5. Coronaviren. Diese Reihenfolge wechselte dabei von Jahr zu Jahr etwas.

Auch bei Viren in Konkurrenz um unsere Schleimhautzellen gibt es offenbar ein wechselndes Quorum, wie wir es aus unserem Darm bei den Mikroorganismen und aus dem Bundestag bei den Parteien kennen.

Wenn es also jetzt eine zunehmende Zahl von „nachgewiesenen“ Coronavirus-Infektionen in China oder in Italien geben soll:

Kann denn jemand sagen, wie oft in den vorangegangenen Wintern solche Untersuchungen überhaupt gemacht wurden, bei wem, aus welchem Anlass und mit welchen Ergebnissen? Wenn man behauptet, etwas werde mehr, muss man sich ja wohl auf etwas beziehen, was man vorher beobachtet hat.

Es kann schon fassungslos machen, wenn man als routinierter Seuchenwächter sich das derzeitige Getümmel, die Panik und das dadurch erzeugte Leid anschaut. So wird es sicher vielen Verantwortlichen gehen, die heute wie damals bei der „Schweinegrippe“ vermutlich ihren Job riskieren würden, wenn sie sich dem Mainstream entgegenstellen.

Wir haben jeden Winter eine Virus-Epidemie mit Tausenden von Todesfällen und mit Millionen Infizierten auch in Deutschland. Und immer haben Coronaviren ihren Anteil daran.

Falls die Bundesregierung also etwas Gutes tun will, dann kann sie es doch so wie die Epidemiologen in Glasgow machen und die klugen Köpfe im RKI prospektiv (sic!) beobachten lassen und nachschauen, wie sich das Virom der deutschen Bevölkerung im Winter von Jahr zu Jahr wandelt.

Politik muss auch dafür sorgen, dass vertrauenswürdiges wissenschaftliches Arbeiten im Robert-Koch-Institut, im Paul-Ehrlich-Institut und in anderen Ämtern wieder leichter wird.

Wissenschaftlich arbeiten heißt eben nicht, der Politik oder der Wirtschaft nach dem Munde zu reden. Wissenschaft ist vertrauenswürdig, wenn sie mit transparenten Methoden professionell und konsequent angebliches Wissen immer und jederzeit in Frage stellt.

Auch wenn das manchmal aufwendig ist, so kann es uns manchen teuren gesundheitlichen Irrweg ersparen, den uns interessengetriebene Grippewächter weismachen wollen.

Und für den Einzelnen gilt:

Wer nur wegen eines positiven Coronavirus-PCR-Tests Quarantänemaßnahmen ausgesetzt wird und finanzielle Schäden erleidet, hat unter Umständen nach Paragraph 56 des Infektionsschutzgesetzes Anspruch auf Entschädigung. Aber auch gegen einen unsinnigen Freiheitsentzug sollte man sich zur Wehr setzen.




Redaktionelle Anmerkung: Der Artikel erschien zuerst im Flensburger Tageblatt vom 29. Februar 2020.

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Dieses Werk ist unter einer Creative Commons-Lizenz (Namensnennung – Nicht kommerziell – Keine Bearbeitungen 4.0 International) lizenziert. Unter Einhaltung der Lizenzbedingungen dürfen Sie es verbreiten und vervielfältigen.

Die Stimme der Vernunft

„Ausgangssperren sind jetzt das falsche Mittel“, erklärt die renommierte Virologin Karin Mölling im Interview.

Frau Professor Mölling, Sie sind anerkannte und ausgezeichnete Virologin. Sie haben ein Buch über Viren veröffentlicht. Wie schätzen Sie die aktuelle Situation um den Virus SARS-Cov 2 ein? Wie gefährlich ist dieser Corona-Virus?

Dieses Virus hat zu einer Pandemie geführt, das heißt, es ist sehr ansteckend und in vielen Ländern vorhanden. Aber das Virus ruft keine schlimme Erkrankung hervor. Es gibt einen Verwandten dieses Virus, Mers-Corona bei Kamelen. Da sterben 37 Prozent der infizierten Kamele. Es gibt ja auch das Ebola-Virus: Wer infiziert ist, ist zu 90 Prozent Todeskandidat. Diese Größenordnungen sind hier nicht der Fall! Die Zahl der Infizierten und die genaue Sterberate sind nicht ganz bekannt. Deshalb schwanken die Zahlen der Sterberate, die aber gering ist.

Ich empfinde, was im Moment läuft, ist das, was wir mehr oder weniger jeden Winter erleben. Das war vor zwei Jahren besonders zu erleben, mit Influenza, der Grippe. Da kannte man den Test für SARS-Corona 2 noch nicht. Das kann durchaus sein, dass da schon ein bisschen dieses Virus mitgespielt hat. Das weiß keiner. Wir haben jetzt eine Wintersaison, die ein bisschen verschoben ist. Die Influenza geht schon zurück und SARS-Corona 2 geht noch hoch. Die Ansteckung ist hoch. Aber die Krankheit ist aus meiner Sicht nicht so schlimm wie die Influenza. Als ich die hatte, dachte ich, ich sterbe. Das sagen mir alle, die die SARS-Corona 2-Infektion haben, dass das da nicht der Fall sei, normalerweise.

Sie haben bereits in Interviews gefordert, die Ereignisse um SARS-Cov 2 ins Verhältnis zu setzen. Sie haben auch auf die rund 25.000 Toten durch die Grippewelle 2017/18 hingewiesen. Wie ist das zu verstehen? Wie lässt sich das ins Verhältnis setzen?

Ich bin der Ansicht, dass man eigentlich hier selektiv nur eine Sache anschaut und die mit einer gewissen Panik füllt. Sie kriegen jetzt jeden Tag am Morgen mitgeteilt, wie viele SARS-Corona 2-Tote man hat. Sie bekommen aber nicht gesagt, wie viele Influenza schon in diesem Winter infiziert hat und wie viele Todesfälle es dadurch gab.

In diesem Winter ist die Influenza-Grippe gering, aber es sind rund 80.000 infiziert. Diese Zahlen kriegen Sie ja gar nicht. Es gab vor zwei Jahren auch so etwas. Das wird nicht dazu in die richtige Relation gebracht.

Jede Woche stirbt in Berlin ein Mensch an multiresistenten Keimen. Das sind im Jahr rund 35.000 in Deutschland. Das wird überhaupt nicht erwähnt. Ich bin der Ansicht, dass wir solche Situationen schon mehrfach hatten und dass jetzt in Bezug auf die Maßnahmen der Bogen überspannt wird.

Die Politik beruft sich bei ihren Maßnahmen, die inzwischen auch durchgesetzt werden und das öffentliche Leben sehr stark einschränken, gerade auf Virologen wie zum Beispiel wie Professor Christian Drosten. Sie finden die Maßnahmen aber nicht verhältnismäßig. Warum?

Sie sind übertrieben! Herr Drosten ist ein sehr guter Naturwissenschaftler. Der kennt auch die Zahlen besser als andere. Er hat ja auch den Test entwickelt. Der Test hat uns gebracht, dass wir jetzt wissen, dass die Leute nicht nur Influenza haben, sondern auch noch ein anderes Virus.

Herr Drosten fällt aber nicht die Entscheidungen. Er sagt: Kann sein, kann auch nicht sein! Und vermeidet Vorhersagen. Er war zumindest zu Beginn nicht der Befürworter, dringend die Schulen zu schließen. Inzwischen soll er gesagt haben, er wäre wohl doch dafür und das wäre doch in Ordnung. Es gibt auch verschiedene Meinungen unter Virologen. Darunter gibt es auch Scharfmacher, die lassen wir jetzt mal weg. Das Robert Koch-Institut prescht etwas weiter voran. Das ist eine Gesundheitsbehörde und von der Wissenschaft her anders strukturiert.

Am Mittwoch habe ich gehört, Herr Wieler vom Robert Koch-Institut erwartet zehn Millionen Infizierte. Dazu muss ich sagen: Die Infizierten sind noch nicht mal das große Problem. Die Alten muss man schützen! Und die großen Umschlagplätze. Virologie heißt im Zweifelsfall Eingrenzung, Abschirmung. Das tun wir an Flughäfen. Aber wie weit das im Privatleben gehen muss, im Restaurant, in der Familie, im Kindergarten und vor allem auf Spielplätzen, da sehe ich nicht eine solche Notwendigkeit wie vielleicht meine Kollegen.

Ich setze den Schnitt beim Alter. Ich gehöre ja zu den Alten. Ich bin der Ansicht, dass man vielleicht auch nicht so stark dagegen angehen sollte, dass die jungen Leute untereinander ihre Parties machen und sich untereinander anstecken. Wir müssen doch irgendwie auch Immunität aufbauen. Wie soll das ohne Kontakte möglich sein? Die Jüngeren stecken die Infektion viel besser weg. Aber wir müssen die Alten schützen und wir schützen sie in einer Weise, die man hinterfragen kann: Ist das angemessen, was wir jetzt tun, die Streckung der Epidemie in einer Weise, die die gesamte Weltwirtschaft fast lahmlegt?

Das heißt also: Die Kindertagesstätten, die Schulen, auch die Gaststätten müssten nicht geschlossen werden, wie es derzeit geschehen ist? Es wird ja inzwischen von einer möglichen Ausgangssperre gesprochen.

Das wird kommen wie das Amen in der Kirche. Wir werden jetzt darauf eingestimmt. Herr Söder hat das am Donnerstag gesagt. Frau Merkel hat das auch offengelassen, aber das Wort nicht benutzt. Sie hat von „Augenmaß“ gesprochen. Augenmaß ist in meinen Augen etwas Anderes.

Die Zahlen liefert das Robert Koch-Institut. Da sitzt man dann als Zuhörer oder Zuschauer: Schon wieder 20 Tote, wie schrecklich! Wissen Sie, wann ich anfange, Panik zu bekommen? Wenn es 20.000 sind. Dann kommen wir in die Nähe von dem, was vor zwei Jahren völlig geräuschlos über die Bühne gegangen ist.

Die Influenza-Epidemie von 2018 mit 25.000 Toten hat die Presse überhaupt nicht aus den Fugen gebracht. 60.000 Patienten hatten die Kliniken zusätzlich zu bewältigen, auch das war kein Problem in den Kliniken gewesen!

Aber das wird ja als Argument benutzt. Die Politik sagt: Wir wollen verhindern, dass es zu 20.000 Toten kommt. Deshalb müssen wir jetzt drastisch in das Leben der Gesellschaft eingreifen.

Ich sage Ihnen: Vor zwei Jahre hat das auch keiner getan. Wo ist jetzt die Notwendigkeit? Ist das nur ein Imitationseffekt gegenüber China? Ich setze das, was jetzt passiert, in Relation zu anderen Situationen. Ich weiß, die Leute sagen mir: Influenza ist etwas Anderes als Krankheit. Aber sie ist eine sehr schwere Krankheit. Das wollen wir mal stehen lassen. 25.000 Tote ist eine sehr schwere Last, die wir nicht haben wollen. Aber die Kliniken haben das geschafft. Und jetzt haben sie Angst, die Kliniken schaffen das nicht, wir brauchen mehr Ventilatoren, haben aber 4.700 Schwestern abgeschafft. Das wird noch kompliziert genug. Die Hersteller können gar nicht so schnell liefern.

Man will das Ganze zeitlich strecken. Meine ganze Hoffnung bei dem Zeitgewinn ruht auf Schnellteste von Hoffmann-La Roche – sei’s geklagt. Die haben immer die schnellsten und besten Teste gehabt. Ich habe in Zürich den Influenza-Schnelltest mitentwickelt, an meinen Patienten geprüft. Wenn das kommt, ist die heiße Luft schon mal ganz stark raus.

Impfstoffe dauern mindestens ein Jahr. Als erstes muss ein Schnelltest kommen. Ich bin HIV-Forscherin gewesen und war ganz stark involviert. Da haben die Schnellteste sehr geholfen. Wenn jetzt jeder weiß, im Flugzeug oder in der Eisenbahn sitzen nur Nichtinfizierte, dann kann man sich ohne Angst reinsetzen, dass man morgen angerufen wird und hat 14 Tage in Quarantäne an irgendeinem Ort der Welt steckt.

Das ist doch die Hauptangst: Die Krankheit wird als eine schreckliche Krankheit in den Raum gestellt. Die Krankheit per se ist wie eine Grippe in einem normalen Winter. Sie ist sogar in der ersten Woche schwächer. Das Problem dieser SARS-Corona 2-Epidemie ist, dass sie vierzehn Tage inapparent ist: Die Leute merken es nicht und stecken andere an.

Es wird immer auf das Beispiel Italien verwiesen, wo ja die Zahlen der Toten im Verhältnis deutlich höher sein sollen. Wie sehen Sie das?

Sie haben es richtig formuliert. Wir wissen es nicht! Die Zahlen sollen höher sein, aber genau wissen wir es nicht. Es gibt in Italien zwei Viren. Eine Journalistin der Zeitung „La Repubblica“ hat auf das ganz andere Familienleben in Italien hingewiesen, wo die Menschen viel Zeit miteinander verbringen und sich dadurch untereinander viel besser anstecken können.

Vielleicht ist auch das Gesundheitssystem in dem Land nicht ganz so gut aufgestellt wie unseres. Das weiß ich nicht. Die Lombardei wird beim Vergleich der Luftverschmutzung, der Pollution, und sonstigen Parametern als eine der stärksten Industrieregionen aufgeführt. Ich habe über Luftverschmutzung in China publiziert. Da wird immer ein Vergleich gezogen mit der U-Bahn in New York und der Lombardei.

Jetzt kann man fragen: Ist in Italien die Zahl vielleicht falsch, sind sie uns in der Epidemie neun Tage voraus? Was wissen wir denn, wie viele sich testen ließen? Gab es den Test, wie lange gibt es den Test? Man kann diese Wachstumskurven angucken und sehen, wo man steht. Bei uns wächst es im Moment weiter. Aber wie groß ist in Italien die Dunkelziffer der Infizierten? Wenn deren Zahl hundertmal höher ist, dann ist die Sterberate wie sonst auch.

Wie würden Sie die Lage in China einschätzen, von wo ja dieser Virus und die von ihm ausgelöste Krankheit ausgegangen ist? Das wird ja jetzt oft als Beispiel genannt, wie gut das in den Griff zu kriegen wäre.

Solche Infektionen, auch Influenza, gehen ja oft von China aus. Das hat bei Influenza bestimmte Gründe. Da entsteht das Virus aus einem brisanten Gemisch von Viren aus Schweinen, Vogel und Mensch. Dieses ist jetzt nicht der Fall und trotzdem geht das neue Virus von China aus, weil Viren durch die Populationsdichte entstehen.

Ebola blieb immer im Urwald, bis dann die Mobilität kam: Das Reisen, die Schiffe, die Bahn, die Mobilität in die Wochenmärkte und in die Schulen. Und dann wurde Ebolas plötzlich in drei Ländern nachgewiesen. Die Mobilität ist es. Beim Neujahrsfest musste China reagieren, da wären ja Hunderttausende gereist. Das war sicher ein Problem.

Es gibt zwei Infektionsraten: In Wuhan-Stadt ist sie um den Faktor Zehn größer als im Umland. Da gibt es einen Unterschied zwischen Stadt und Land. Warum? Das kommt durch die Populationsdichte, die Verschmutzung der Luft, die Dichte in den Wohnungen. Im Fall China wird ja die Luftverschmutzung nie erwähnt, durch die Industrie, die zum Teil noch in den Städten ist.

Als ich vor zwei Jahren in Peking war, war das auch von der Tageszeit abhängig, und vom Wind, wie stark die Luftverschmutzung ist. Die Leute in China haben alle Husten. Das nennt man Peking-Cough. Das ist der Husten, weil sie durch die Luftverschmutzung schon geschädigte Lungen haben. Aber das sind nicht die Viren, sondern das sind die Partikel durch den Staub. Das ist sicherlich ein Faktor, den ich noch nirgendwo gelesen habe. Aber ich war in China und ich habe eine Arbeit dazu geschrieben.

Dazu muss man noch sagen: Da wohnen tausend Leute in einem Hochhaus und die Hochhäuser stehen eng beieinander. Das ist wie ein Dorf mit 10.000 Leuten auf einem kleinen Quadranten. Wenn die alle rausgehen, besteht Ansteckungsgefahr. Aber drinnen, in den Räumen ist die Ansteckungsgefahr natürlich gigantisch. Innenräume sind ja viel ansteckender als draußen die frische Luft. Die Ausgangssperre kann eigentlich eher negativ wirken. Wir dürfen das nicht mit China vergleichen. Smog, Bevölkerungsdichte und Ähnliches, das Land in China hat eine andere Struktur. Das ist nicht bei uns gegeben.

Sodass die Ausgangssperre, die langsam ins Gespräch kommt…

Ja, das ist das, wogegen ich anrede. Das ist das Einzige, wovor ich Angst habe. Das ist falsch! Deshalb engagiere ich mich. Das ist ja das Einzige, wo man den Geist noch in die Flasche bringt. Das Andere ist ja alles gelaufen, was muss ich mich da aufregen. Wir brauchen Luft und Sonne, Luft verdünnt die Viren und Sonne mit UV Licht tötet sie. Aber bloß keine Ausgangssperre! Auf der Straße steckt man sich nicht an!

Ansonsten hoffe ich auf Schnellteste. Aber die sind schwer zu machen. Man muss die sogenannte Validierung machen, prüfen, ob die geforderten Leistungen erbracht werden. Soweit ich weiß ist auch der SARS-Corona 2-Test nicht validiert, nicht wirklich überprüft worden. Die Chinesen haben den Test sogar selber korrigiert. Der ist auch schwierig zu machen. Das muss das Personal können.

Sie warnen ja auch vor einer Panikmache, wie Sie in Interviews sagten. Welche Rolle spielen dabei aus Ihrer Sicht die Medien?

Ich glaube, dass wir eine neue Situation haben, seit ein paar Jahren. Das war bei SARS-Corona 1 noch nicht so. Das ist die Art der Information der jungen Leute untereinander. Das verändert unsere Welt. Im Moment werden alle virologisch trainiert. Das finde ich noch schön und gut. Händewaschen ist auch in Zukunft gut. In die Ellenbogen zu niesen, das habe ich schon vor zehn Jahren in Zürich eingeführt. Das finde ich alles gut.

Aber, dass man ohne einen Bezug die einzelnen Toten und die Zahl der Infizierten meldet, heute 16 Tote, heute 1.000 mehr infiziert, das schürt Ängste. Es werden uns Zahlen präsentiert, die Angst machen. Sie werden nicht in Relation zu andern Zahlen gesetzt. So ist es. Dann sagt mir der Taxifahrer, er könne seinen Laden schließen, er gehe zugrunde und könne sich nur noch den Strick nehmen. Das muss man auch mal sehen. Ich bin keine Ökonomin. Ich bekomme da nur des Volkes Stimme mit. Die sagen alle: Machen Sie doch irgendwas! Ich will nur die Ausgangssperre verhindern.

Wofür plädieren Sie? Welche Alternativen sehen Sie und was können die Einzelnen tun, die nicht unbedingt dieser Angstmache folgen wollen?

Ich bin im Fernsehen gefragt worden, was ich denn dazu sage, dass die Alten spazieren gehen. Ich kann nur sagen: Ja, sie sollen es machen. Frische Luft ist gut, das verdünnt. Das kann sich jeder vorstellen. Das Zweite, was daran gut ist, ist die Sonne. Ultraviolettes Licht tötet Viren. Das ist auf Kinderspielplätzen gut, das ist für die Kinder im Sport gut, wenn sie draußen sind. Draußen ist gut! Immer draußen sein, das ist das Beste.

Was noch zu tun ist, ist Mundschutz. Viren sind klein, die können durch manches hindurchdringen. Ein Mundschutz schützt aber vor Tröpfcheninfektion – so nennt man das. Warum sollen Sie denn 1,5 Meter Abstand halten? Nur aus diesem Grund.

Das Virus allein kommt nicht so weit. Das Virus sitzt auf den Speicheltröpfchen. Wenn ich mit einem schicken Schal zum Einkaufen gehe, ziehe meinen Schal über Mund und Nase, kaufe ein, rede nicht so viel und gehe wieder hinaus und ziehe den Schal runter – das sollte jeder Deutsche tun! Das hat Jogi Löw vor ein paar Tagen im Fernsehen getan: Immer wenn er jemanden angesprochen hat, hat er sich einen kleinen schwarzen Schal vom Hals zum Mund gezogen und dann wieder runter, allerdings nicht hoch genug. Er hätte die Nase auch noch schützen müssen.

Wichtig ist, die Alten isolieren und schützen. Dann frische Luft und UV so viel wie möglich. Weiterhin, Kindergärten und Schulen aufmachen, statt die jungen Familien ins Chaos zu stürzen. Schulen sind die beste Stelle, wo man sie alle beisammenhat und wo man weiß, wie die Infektionskette läuft. Das kann man kontrollieren und da kann man reagieren. Die Jugendlichen gehen heute alle Eis essen. Nein, sie müssen etwas Heißes trinken. Das dringt ja gar nicht durch.

Und unter keinen Umständen eine Ausgangssperre! Die Leute sollen auch ins Restaurant gehen, auf eigene Verantwortung. Bei dem schönen Wetter kann man doch die Leute nicht einschließen. Ich höre in der Familie: Wo sollen denn die Kinder hin bei dem schönen Wetter? Das hält man doch nur eine Woche oder höchstens zwei durch. Außerdem muss sich auch eine Immunität aufbauen, nur Kontakte erlauben das.

Sie haben ein Buch über die Viren als „Supermacht des Lebens“ geschrieben. Ist das eine grundgefährliche Supermacht, wie es jetzt manchem erscheint? Ich habe vor kurzen den Faktenthriller Hot Zone“ von Richard Preston über das Ebola-Virus gelesen. Was sind die Viren, wenn sie das kurz beschreiben lässt?

Das Buch ist anders gemeint, es geht nicht um die großen Gefahren. Die Viren gehören wie die Mikroorganismen und die Bakterien zu unserem Leben. Sie sind länger auf der Welt als wir. Die Viren sind so flexibel und anpassungsfähig und so innovativ. Sie haben mitgeholfen, uns zu machen. Ich siedle sie in der Evolution ganz unten bzw. ganz früh an.

Was wir im Moment sehen ist Evolution im Zeitraffer. Viren sind die stärksten und schnellsten evolvierenden, sich entwickelnden Elemente, die es auf der Welt gibt. Sie sind auch die größte Population, die es auf der Welt gibt: 10 hoch 33. Die Zahl ist viel höher als die Sterne am Himmel und die Sandkörner am Wasser. Diese Riesenzahl von Viren macht prinzipiell nicht krank. Es sind nur rund 250 Viren, die potenziell krankmachen. Die Krankmachung entsteht durch menschliche Parameter.

Es ist auch in diesem Fall ganz sicherlich so und es wird auch öfter kommen. Wenn man die Menschen ins Wohnzimmer sperrt, dann geht das Virus nicht zugrunde, sondern weicht auf die Hunde und Katzen aus. Das findet immer einen Ausweg. Wir können so etwas nicht stoppen. Das Virus wird mit uns bleiben und nicht verschwinden. Das ist meine Prognose.

Es gibt Zika-Viren. Es gibt das Westnil-Fieber-Virus, das von in fünf Jahren von New York nach San Francisco kam, aus einem einzigen Vogel, der in New York tot vom Himmel fiel. Die Viren sind so anpassungs- und veränderungsfähig. D

as Corona-Virus ist noch nicht das Schlimmste, denn es verfügt über ein Korrektursystem wie der Mensch, so etwas wie Tipp-Ex für das Erbgut. Das Virus ist so groß, wenn es zu stark mutieren würde, würde es sich selbst zugrunde richten.

Die Viren sind eine Quasi-Spezies, nicht nur ein Typ. Die Impfung wird deshalb sicherlich nicht einfach werden. Sie sind vielleicht auch unsere Retter. Ich schreibe gerade ein neues Buch darüber, dass die Viren, die wir als Bakteriophagen kennen, Bakterien töten können. Das machen sie, wenn sie sich vermehren. Dann bilden die ja vielleicht zusammen mit uns eine Allianz, um die multiresistenten Keime zu bekämpfen. Das wird unsere nächste ganz große Herausforderung.

Haben Sie vielen Dank für das Gespräch.


Redaktionelle Anmerkung: Das Interview erschien zuerst auf SputnikNews.

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Der Beitrag „Die Stimme der Vernunft“ erschien im Rubikon-Magazin. Rubikon-Lizenzbedingungen:

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