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Studie: Über 1 Million Tote durch Krieg in Irak, Afghanistan, Pakistan – USA erwog zusätzlich Atombombeneinsatz

Der Spiegel berichtet in seiner neuesten Ausgabe darüber, dass die US-Regierung nach den Anschlägen des 11. September sogar über den Einsatz von Atomwaffen gegen Ziele in Afghanistan nachdachte. Das hätte unweigerlich einen hohen Blutzoll unter der Bevölkerung zur Folge gehabt. Die tatsächliche Zahl der Todesopfer durch den Krieg gegen den Terror in Irak, Afghanistan, Pakistan liegt allerdings mit weit über einer Million Toten auch in einem sehr hohen Bereich. Das zeigte vor einiger Zeit eine wissenschaftliche Studie der gemeinnützigen Organisation IPPNW mit dem Titel „Body Count“, die von unterschiedlichsten Akteuren von der Friedensbewegung bis zum Bundeswehrjournal hin aufgegriffen wurde, aber abgesehen davon – in der deutschen Presse – wenig Widerhall fand. So blieben die hohen Opferzahlen dieses Krieges der USA mehr oder weniger Expertwissen.

Spiegel Online schreibt zu den Atombombenenthüllungen in dem Artikel „Reaktion auf Qaida-Attacken: USA erwogen Atomschlag nach 9/11„: „Die Anschläge vom 11. September 2001 begründeten den US-geführten Krieg gegen den Terror. Nach SPIEGEL-Informationen wurden damals in Washington alle denkbaren Szenarien durchgespielt – auch der Einsatz von Nuklearwaffen. […] ‚Die Papiere waren geschrieben“‚, sagte Steiner auf die Frage, ob die USA auch an den Einsatz von Nuklearwaffen dachten, und fügte hinzu: ‚Sie hatten wirklich alle Möglichkeiten durchgespielt.‘ Schröder und ihn habe nach den Terrorattacken die Sorge umgetrieben, die USA würden ‚im ersten Schock überreagieren‘, zumal sich die ganze Administration ‚regelrecht eingebunkert‘ habe.“.

Die Nachdenkseiten berichten in dem Artikel „Weit über 1 Million Opfer durch ‚Krieg gegen den Terror‘“ über den medizinisch-wissenschaftlichen Report des IPPNW („Internationalen Ärzte für die Verhütung des Atomkrieges“). Dazu führen die Nachdenkseiten ein Interview mit dem Verantwortlichen der Studie beziehungsweise dem Koordinator des Projekts, Jens Wagner.

Das Bundeswehrjournal beginnt den Artikel „Rund 1,3 Millionen Tote durch ‚Krieg gegen den Terror‘“ mit folgender Einleitung: „Berlin. Die Gesamtzahl der Todesopfer der Kriege und Kriegshandlungen im Irak, in Afghanistan und in Pakistan wird von der Öffentlichkeit erheblich unterschätzt. Sie liegt bei weit über einer Million Toten. Dies ist das Ergebnis einer Untersuchung, die am 19. März zeitgleich in Berlin, Washington und Ottawa veröffentlicht wurde. Die deutsche, die amerikanische und die kanadische Sektion der Vereinigung ‚Internationale Ärzte für die Verhütung des Atomkrieges‘ (International Physicians for the Prevention of Nuclear War, IPPNW) präsentierten die erschreckenden Ergebnisse an diesem Donnerstag – zwölf Jahre nach Beginn des Irakkrieges – in den Hauptstädten ihres Landes.“.

In dem Telepolis-Artikel „Opferzahlen des ‚Krieges gegen den Terror‘“ heißt es: „Laut der US-amerikanischen IPPNW-Sektion unterstreicht die Untersuchung das Ausmaß menschlicher Zerstörung, die weltweit Hass anfeuere, in einer Zeit, in der die US-Regierung neue und erweiterte Militäroperationen im Irak und in Syrien erwäge. Außerdem liefere ‚Body Count‘ den Kontext, um den Aufstieg brutaler Kräfte, wie den des IS zu verstehen, die als Folge der US-Politik weiter gedeihen würden. ‚Nach geschätzten Kosten von mehr als drei Billionen US-Dollar, für einen über mehr als ein Jahrzehnt geführten Krieg in Zeiten unserer eigenen schwierigen Wirtschaftslage, müssen wir unsere volle Verantwortung anerkennen und daraus die entsprechenden Lehren ziehen, um eine tragische Zuspitzung der explosiven Situation, in der wir uns heute befinden, zu vermeiden,‘ heißt es in der Pressemitteilung der US-amerikanischen IPPNW-Sektion zur Veröffentlichung der Untersuchung.“. In Syrien sind übrigens momentan 11 Millionen Menschen auf der Flucht, tausende sind gestorben.

Die AG Friedensforschung schreibt: „Der ‚Krieg gegen den Terror‘ hat allein im Irak, Afghanistan und Pakistan zu 1,7 Millionen Todes-Opfern geführt. Das ist das Ergebnis des IPPNW-Reports ‚Body Count – Opferzahlen nach zehn Jahren Krieg gegen den Terror‘. ‚Präzisionswaffen ändern nichts am hohen Prozentsatz getöteter Zivilisten in asymmetrischen Kriegen‘, erklärt IPPNW-Vorstandsmitglied Dr. Jens Wagner. Der Einsatz von Phosphorbomben, Streumunition, DIME- und Uranmunition sowie das brutale Vorgehen der Besatzungstruppen zum Beispiel in Fallujah und Basrah zeigten das unmenschliche Gesicht des Krieges.“.

Die Studie „Body Count“ der Vereinigung ‚Internationale Ärzte für die Verhütung des Atomkrieges‘ (International Physicians for the Prevention of Nuclear War, IPPNW) selbst ist hochinteressant und eine Leseempfehlung: Hier die 76 Seiten der Studie als PDF. Sie stellt den ersten umfassenden wissenschaftlichen Bericht zu den Opferzahlen des „Krieges gegen den Terror“ dar. Ein paar Zitate:

„Ganz entgegen der weit verbreiteten Ansicht, eine Zählung von Kriegstoten sei unmöglich, gibt es für die definierte Bestimmung der Opferzahlen auf Seiten der besetzten Nationen eine medizinisch-mathematische Größe, nämlich den Anstieg der Sterblichkeit in der Gesamtbevölkerung vor und während, bzw. nach einer Militärintervention. In der Änderung der Sterblichkeit sind alle Opfer enthalten, die durch die näheren und weiteren Umstände des Krieges zusätzlich zum ‚Normalzustand‘ des jeweiligen Landes getötet werden. Obwohl diese Definition noch Ungenauigkeiten enthält ist sie eine epidemiologische Größe, die mit standardisierten statistischen Methoden ermittelt werden kann.“

„Die Auseinandersetzung um Opferzahlen ist ein Kampf um die Zustimmung der Bevölkerung zum Krieg. Daher ist es nicht verwunderlich, dass Medien und sogar Universitäten nur eine einseitige Sichtweise wiedergeben. (Siehe Kapitel 3: Zahlenkrieg) In einer Umfrage im Jahr 2007 schätzten US Amerikaner die Anzahl der getöteten Iraker auf weniger als 10.000. Sollten bis heute jedoch 1,5 Millionen Iraker durch die US Invasion umgekommen sein, wovon man der Sachlage entsprechend ausgehen muss, so sind dies 5% der Bevölkerung des Irak mit entsprechenden Schäden für Gesellschaft und Infrastruktur. Derartige Zahlen werden nur vorstellbar, wenn man sie in Beziehung setzt: Deutschland hat im 2. Weltkrieg etwa 10% seiner Bevölkerung verloren.“

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