RT Deutsch interviewte Rubikon-Jungautor Nicolas Riedl über das politische Erwachen der Jugend und die Erfolgschancen alternativer Medien.
Am 10. August publizierte das Online-Magazin Rubikon einen langen Artikel „Die Kriegshetzer“ mit der folgenden Einleitung: „Mit einer neuen ‚Doku‘ betreibt das ZDF Kriegsvorbereitung gegen Russland in einem nie dagewesenen Ausmaß.“ Der Autor war Nicolas Riedl.
Der 26-jährige gehört seit der Gründungszeit des Mediums vor zwei Jahren zum ständigen Autorenstamm des Herausgebers Jens Wernicke. Für sein Alter deckt er bereits ein außergewöhnlich breites Themenspektrum ab. Seine Texte bestechen durch Tiefgang und sprachliche Reife. RT sprach mit dem Jungautor über sein Verständnis des eigenen Wirkens und den Blick auf seine Generation.
RT: Herr Riedl, wie viel „Meinungsmacht“ hat die kritische publizistische Gegenöffentlichkeit derzeit in Deutschland?
Nicolas Riedl: Reflexartig würde ich antworten, dass die publizistische Gegenöffentlichkeit derzeit sehr stark ist. Insbesondere seitdem die alternativen Medien durch die Ukraine-Krise und die Mahnwachen im Jahr 2014 massiv an Aufwind bekommen haben.
Wenn ich mir jedoch ansehe, wie massiv um die Deutungshoheit mit orwellscher Sprachverdrehung und dem Einsatz von Kampfbegriffen wie „Verschwörungstheoretiker“, „Antisemit“ oder „Querfront“ gefochten wird, würde ich sagen, dass sich die Meinungsmacht die Waage hält.
Heute können Medienmacher sowie Medienrezipienten im Vergleich zum vorangegangen Jahrzehnt wesentlich schneller und viraler Lügen und Manipulationen aufdecken, sie erhalten aber auch einen entsprechend heftigeren Gegenwind.
Gegen manipulative Berichterstattung, die in der Regel die Öffentlichkeit für die Akzeptanz der aggressiven und völkerrechtswidrigen Handlungen warm machen soll, kämpfen nur relativ wenige Journalisten an. Glauben Sie wirklich, dass Sie mit Ihrer Tastatur einen neuen „Präzedenzfall“ der Medienmanipulation verhindern können?
Verhindern kann ich das nicht. Dafür haben die etablierten Medien eine zu starke Wirkkraft in der Generation jener, die mit der Tagesschau, der Süddeutschen oder dem Spiegel groß geworden sind. Und jene in dieser Generation machen doch einen beträchtlichen Anteil der Nachrichten-Rezipienten aus. Jedoch sehe ich zumindest die Möglichkeit bei den Rezipienten meiner Generation, kritisches und selbstständiges Denken durch meine Beiträge zu fördern. Gleichzeitig bin ich mir natürlich der mannigfaltigen Möglichkeiten der massenmedialen Manipulation bewusst, die sich nicht auf die etablierten Medien beschränken, sondern sich auch im Bereich Social-Media auf noch viel präzisere und perfidere Art und Weise anwenden lassen.
Wie würden Sie journalistischen „Mainstream“ definieren? Und Gegen-Mainstream? Warum diese Trennung?
Der journalistische „Mainstream“ ist überwiegend von monetären Interessen geleitet, der Gegen-Mainstream hingegen zumeist von Idealen. Idealen und dem Wunsch, sich der Wahrheit zu nähern, was natürlich niemals zu einhundert Prozent gelingen kann, da jede Sichtweise immer nur eine Teilwahrheit darstellt. Die Trennung ist für das Verständnis dieser zwei unterschiedlichen Arten von Journalismus notwendig, aber auch nur zum Verständnis!
Auf menschlicher Ebene dürfen wir da keine Trennung betreiben! So schwer es einem manchmal auch fallen mag, aber auch Schreibtischtäter wie Julian Reichelt, Antje Schippmann oder Silvia Stöber gehören zur Menschheitsfamilie dazu. Die eben genannten Schreiberlinge liegen — wie viele andere Journalisten des „Mainstreams“ — in den Ketten der Blattlinien ihrer Medienhäuser. Sie dürfen gewisse Dinge nicht schreiben oder gewisse Denkrahmen nicht übertreten, da das den Interessen der Geldgeber zuwider läuft. Ausnahmen bestätigen hierbei die Regel.
Sie haben gerade die Ukraine-Krise erwähnt. Sie ist für viele zu einem Wendepunkt im politischen Erwachen geworden, auch für einige Journalisten, beispielsweise sie hat einige Leute überhaupt erst dazu motiviert, publizistisch tätig zu werden. Sehen Sie dieses politische Erwachen nach nunmehr über fünf Jahren jetzt am Abebben oder ist die neue „alternative Öffentlichkeit“ stabil?
Es ist stabil und keineswegs am Abebben. Dabei muss ich allerdings klar betonen, dass mit dieser Stabilität eine Unbeweglichkeit einhergeht, dergestalt, dass es vielen nicht gelingt, den Sprung von der Phase der reinen Wissensakkumulation hin zu einer Phase des effektiven Aktivismus zu bewerkstelligen.
Viele der politisch Erwachten sind zwar erwacht, finden aber nicht den Weg zur Kaffeemaschine, um in die Gänge zu kommen und das aufaddierte Wissen auch mal anzuwenden.
Ich fasse mir da auch ganz klar an die eigene Nase! Ich beobachte bei vielen, wie sie dem Irrglauben erliegen, etwas erreichen zu können, wenn sie tagtäglich zehn systemkritische Beiträge bei Facebook posten. Das bringt rein gar nichts, sondern vergeudet nur Zeit und Energie. Ich will nicht abstreiten, dass eine gewisse Zeitspanne nötig gewesen ist, um ein Wissensfundament zu errichten, auf dem wir unser Handeln aufbauen.
Diese Phase sollte jetzt im Jahre 2019 nach nunmehr fünf Jahren endlich zu Ende gehen. Wir haben eine kritische Masse aufgebaut, die verstanden hat, wie perfide unser Geldsystem ist und wie korrupt Politik, Konzerne und Medien agieren. Wir lernen doch mittlerweile nicht mehr viel Neues hinzu, sondern erkennen gleiche Muster in neuen Fallbeispielen. Es ist nun die Aufgabe der alternativen Medienszene, handlungs- und lösungsorientiert zu berichten und die Analyse im Hintergrund laufen zu lassen. Möglichkeiten, an wirklich effektivem Widerstand zu partizipieren, gibt es dieser Tage in Zeiten von Bewegungen wie den Gelbwesten, Extinction Rebellion oder Ende-Gelände genug.
Wie sieht es mit dem publizistischen Nachwuchs aus? Gibt es schon eine Reihe junger Schreibender (beziehungsweise Sprechender, denn wir wollen beispielsweise Videoblogger da nicht ausschließen)? Ist die Jugend politisch?
Ich schreibe ja in der Rubikon-Jugendredaktion und wenn ich mir dort meine Kollegen und Kolleginnen ansehe, muss ich wirklich sagen, dass es sich bei diesen nicht nur intellektuell und von der Brillanz des Schreibstils her, sondern auch auf der emotionalen Ebene um wirklich seltene Perlen handelt, die man nicht an jeder Ecke antrifft! Ich würde mal vorsichtig schätzen, dass es im deutschsprachigen Raum noch etwa ein paar hundert junge Schreiberlinge von diesem Schlag gibt. Bei vielen Magazinen für junge Leute sehe ich leider häufig Texte, die selten den Raum zulässiger Meinungen verlassen und sich lieber brav am akzeptierten Diskurs entlanghangeln oder belanglose Themen breittreten.
Über Vlogger (Videoblogger) kann ich wenig sagen, da ich dem geschriebenen Wort mehr Bedeutung beimesse. Natürlich hat der Kollege mit den blauen Haaren vor wenigen Monaten für ordentlich Wirbel gesorgt. Seinem bekannten Polit-Video steht allerdings ein ganzer Kanal entgegen, der vollgepackt mit verblödenden und infantilen Inhalten ist, weshalb ich mit Hoffnung eher zurückhaltend bin.
Die Frage, ob die Jugend politisch ist, kann ich nur mit einem „Jein“ beantworten. Wenn ich mir die Jugend so ansehe, sehe ich da durchaus eine neu erstarkte politische Power. Jedoch erinnert mich diese Energie bei den Jugendlichen an einen Sportwagen mit Heckantrieb, der auf Glatteis versucht von der Stelle zu kommen — viel Lärm, viel heiße Luft, aber kein Vorankommen.
Die meisten jungen Leute agieren — so scheint es mir — rein aus dem Affekt. Für das Reflektieren und der Entfaltung tiefgehender Gedanken scheint es in in diesen schnelllebigen Tagen wenig Zeit zu geben.
Die Auswüchse dieses Phänomens kulminierten meiner Meinung nach bei diesem #wirsindmehr-Konzert in Chemnitz letzten Jahres, welches man nur noch als „grotesk“ bezeichnen kann. Da tanzen und grölen junge Menschen gegen Nazis, anstatt sich auch nur eine Sekunde lang darüber Gedanken zu machen, warum Menschen überhaupt zu Nazis werden oder warum die AfD so stark wird.
Wir haben es überwiegend mit einer Jugend zu tun, die Jagd auf Symptome macht, statt nach der Ursache, der Krankheit zu forschen, und die am Ende die Krankheitserreger für das Heilmittel hält.
Was ist mit der Trennung von rechts und links? Zählen Sie „rechte“ beziehungsweise konservative Denker zu einer konstruktiven alternativen Öffentlichkeit? In Russland gibt es da gewisse Schnittmengen bei den sogenannten Linkspatrioten.
Es stellt sich natürlich die Frage, wie brauchbar heutzutage Begriffe wie „links“ und „rechts“ sind, wenn durch und durch linke Publizisten plötzlich als „rechts“ beschimpft werden und auf der anderen Seite Sozialdemokraten oder Grüne eine Politik betreiben, die beim besten Willen nicht mehr als „links“ bezeichnet werden kann. Durch die völlige Entwurzelung dieser Begriffe von ihrer eigentlichen Bedeutung sorgen diese eher für Verwirrung und dafür, dass wir Menschen in Schubladen stecken, in die diese gar nicht hineingehören.
Und ob konservative Denker zu einer konstruktiven alternativen Öffentlichkeit beitragen, hängt davon ab, wie weit das konservative Denken zurückreicht. Der Begriff „konservativ“ stammt ja aus dem Lateinischen von „conservare“ und bedeutet so viel wie „bewahren“ oder „erhalten“. Was will dieser Konservative nun bewahren? Ein zerstörerisches, kapitalistisches System, welches den Planeten und damit unsere Lebensgrundlage zerstört? Dann ist das definitiv keine konstruktive alternative Öffentlichkeit! Geht der Wunsch des Erhaltens allerdings so weit zurück, dass die Natur erhalten und geschont werden soll, dann ist Konservatismus absolut begrüßenswert!
Mit Beiträgen von: Daniele Ganser, Chris Hedges, Karin Leukefeld, Volker Bräutigam, Friedhelm Klinkhammer, Ulrich Teusch, Hannes Hofbauer, Ivan Rodionov, Jens Wernicke, Hermann Ploppa, Roland Rottenfußer, Nicolas Riedl, Stefan Korinth, Florian Kirner, Kilez More, Bernhard Trautvetter, Werner Ruf, Armin Wertz, Jens Lehrich, Peter Frey, Jens Bernert, Ullrich Mies, Andrea Drescher, Ulrich Heyden, Andreas von Westphalen, Nina Forberger, Madita Hampe und Christiane Borowy.
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Dieser Beitrag erschien zuerst im Rubikon-Magazin.