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BILD unterstützt Bürgerkrieg und will Deutungshoheit über resultierende Flüchtlingsströme

Die Bundesligavereine sollen auf Geheiß des DFL am kommenden Wochenende auf ihren Trikots für die BILD-Aktion zugunsten der nach Deutschland kommenden Flüchtlinge werben. Die Aktion wird aufgrund des eigentlich bisher immer „asylkritischen“ Backgrounds der „Bildzeitung“ zurecht von vielen kritisch gesehen („Wer nicht für ‚Bild‘ werben will, muss gegen Flüchtlinge sein„, „Die DFL, die ‚Bild‘ und die Flüchtlinge. Powered by Promotion„, „#MaxGoldtWelcome„, „Die besorgte Zeitung„, „‚#BILDnotwelcome‘: Fußball-Fans fordern Boykott von ‚Bild‘-Aktion„). Was mindestens genauso kritikwürdig ist, aber kaum angesprochen wurde, wird am Beispiel Syrien sehr deutlich: Sehr viele Flüchtlinge kommen aus (Bürger-) Kriegsgebieten und die BILD hat mit ihrer politischen Propaganda zum Krieg und zu den Flüchtlingsströmen beigetragen und tut das in diesen Tagen immer noch. Was die BILD hier berichtet, ist meist pure Propaganda und hat mit den Einschätzungen von Wissenschaftlern und anderen Experten (siehe unten) nicht das Geringste zu tun. Manchmal ist es einfach nur noch irre: Im aktuellen Fall des Syrienkrieges hat die BILD sogar vor wenigen Tagen über einen Einmarsch ostukrainischer Rebellen in Syrien berichtet, die angeblich seit Anfang September Flüchtlingsströme generieren (Natürlich laut BILD „auf Geheiß Putins“). Mit der PR-Aktion will die BILD positiv wahrgenommen werden und die Deutungshoheit über die Flüchtlingsfrage gewinnen. Gleichzeitig werden die Hintergründe der Flüchtlingsströme weiter systematisch ausgeblendet. Mehr noch, das Flüchtlingsthema wird in seinen Ursachen total verdreht und „als Waffe“ wird benutzt, um die syrische Regierung und Russland anzugreifen. Hier unten ein paar Experteneinschätzungen zur aktuellen Syrien- und Flüchtlingsthematik, um die Berichterstattung der BILD zu relativieren, die nun von der gewieften PR-Kampagne „Bundesliga-Flüchtlingsaktion“ begleitet wird. Eine eigene Aktion der DFL oder eine Aktion mit anderen Partnern wäre wesentlich besser.

FAZ: “Syrien Der Westen ist schuldig“. “Wie hoch darf der Preis für eine demokratische Revolution sein? In Syrien sind Europa und die Vereinigten Staaten die Brandstifter einer Katastrophe. Es gibt keine Rechtfertigung für diesen Bürgerkrieg. […] Was in Syrien geschieht, ist eine dem Anschein nach mildere Form des Eingriffs, da sie den Sturz des Regimes dessen innerer Opposition überlässt, die von außen nur aufgerüstet – und freilich auch angestiftet – wird. In Wahrheit ist sie die verwerflichste Spielart: nicht so sehr, weil sie neben dem Geschäft des Tötens auch das Risiko des Getötetwerdens anderen zuschiebt. Eher schon, weil sie die hässlichste, in jedem Belang verheerendste Form des Krieges entfesseln hilft: den Bürgerkrieg. Jedenfalls übernehmen die Intervenierenden die vermeintliche und absurde Rolle von Unschuldigen. Es ist ein suggestives Herabsetzen der Legitimationsschwelle für das eigene Handeln vor den Augen der Welt: Wir sind es nicht, die in Syrien töten; wir helfen nur einem unterdrückten Volk. So lässt sich offenbar eine Aura des Moralischen erschleichen. Rätselhaft ist, dass dies ohne nennenswerten Widerspruch gelingt.”

n-tv: “‘Krieg gegen den Terror’. Die wahre Ursache der Flucht“. “Tagtäglich berichten die Medien über die Tausende von Flüchtlingen, die nach Europa fliehen. Doch ein Aspekt fehlt nahezu komplett: Hintergründe über die Fluchtursachen. 14 Jahre sind nach den Terroranschlägen vom 11. September vergangen. Der sogenannte ‘Krieg gegen den Terror’ ist das teuerste und zugleich zerstörerischste politische Projekt seit dem Zweiten Weltkrieg. Sein Ziel, Terrorismus zu bekämpfen, wurde verfehlt, ja sogar konterkariert. Die Militärintervention brachte den Terrorismus erst in den Irak und dann nach Syrien. In Gestalt des ‘Islamischen Staats’ hat er sich in bedrohlicher Ausprägung etabliert. […] Die IPPNW schätzt, dass der ‘Krieg gegen Terror’ bereits in den ersten zehn Jahren 1,3 Millionen Menschen das Leben gekostet hat. Da Untersuchungen zu den Todesopfern mit den Schwächen der verfügbaren Quellen zu kämpfen haben, liegt die Dimension der Todesopfer des Krieges wahrscheinlich über 2 Millionen. Hinzuzurechnen sind im Grunde auch die inzwischen weit über 200.000 Toten in Syrien, denn auch sie sind mittelbare Folge des ‘Krieges gegen den Terror’.”

Blätter für deutsche und internationale Politik (bekannte politikwissenschaftliche Fachzeitschrift): “Flüchtlinge: Der inszenierte Notstand“. “Es sind erschreckende Bilder: Unter stechender Sonne hausen in Dresden und Berlin zahlreiche Flüchtlinge in Zeltstädten oder unter offenem Himmel. Die Bundeshauptstadt sorgt mit meist nicht einlösbaren Hostelgutscheinen gar für Obdachlosigkeit unter den Schutzsuchenden. Ein ähnliches Schicksal ist in Bayern im vergangenen Herbst sogar Kindern widerfahren, die ohne Decken im Freien übernachten mussten. In der öffentlichen Wahrnehmung erscheinen die Flüchtlinge dadurch als Problem: Die Neuankömmlinge, so wirkt es, überfordern ob ihrer Menge die Zuständigen von der Kommune bis zum Bund. Und tatsächlich erleben wir derzeit die weltweit größte Fluchtbewegung seit Ende des Zweiten Weltkriegs. Allein für Deutschland rechnet die Bundesregierung in diesem Jahr inzwischen mit 750 000 neu einreisenden Asylsuchenden, nachdem sie lange von viel weniger ausging. Doch die Bilder zeigen eine Krise, die es nicht geben müsste. Der aktuelle Notstand hätte durch vorausschauendes Handeln vermieden werden können. […] Während sich viele Kommunen trotz aller Widrigkeiten ernsthaft um schnelle und gute Lösungen bemühen, inszenieren andere den Notstand: ein brandgefährliches Vabanquespiel, welches das bislang noch überwiegend positive gesellschaftliche Klima gegenüber den Asylsuchenden zum Kippen bringen könnte.”

Deutschlandfunk: “Flüchtlingskrise. ‘Eigentlich müssten die Europäer die USA in die Pflicht nehmen’“. “Für den Nahostexperten Michael Lüders steht fest: Vor allem die USA sind verantwortlich für die Krisen in der Region. Die Flüchtlingsbewegung sei die Quittung für die dortige Interventionspolitik. Washington habe keinen klaren Plan – und dem folgten Berlin und Brüssel. Vor allem mit Blick auf Ägypten könne das weitere Folgen haben. […] ‘Der Islamische Staat ist das Produkt der USA. Al Kaida, die Taliban in Afghanistan sind entstanden als Reaktion auf die amerikanische Interventionspolitik dort. Aber man lernt aus diesen Fehlern nicht. Man macht immer wieder denselben Fehler. Und jetzt haben wir als Quittung dieser Politik eine massive Flüchtlingsbewegung aus dem Irak, aus Syrien. In Syrien wollte man und will man um jeden Preis Baschar al-Assad stürzen, ebenfalls ein furchtbarer Diktator. Aber man muss ja die Frage beantworten, sollte dieses Regime fallen, wonach es erst einmal nicht aussieht, wer würde dann die Macht in Damaskus übernehmen? Wahrscheinlich ja nicht Christ- oder Sozialdemokraten, sondern eher der Islamische Staat. Wo also ist die Logik dieser Politik?’”.

Nachdenkseiten: “‘Die Perfidie ist, dass diese Fluchtbewegungen politisch instrumentalisiert werden’“. “Die Lage ist hart, das Elend groß. Besonders für die Syrer auf der Flucht. 4 Millionen von ihnen sind in Nachbarstaaten geflohen, weitere 7 sind innerhalb Syriens auf der Flucht. Die Perfidie ist, dass diese Fluchtbewegungen politisch instrumentalisiert werden. Der innersyrische Konflikt wurde zu einem regionalen und schließlich zu einem internationalen Stellvertreterkrieg ausgeweitet. Dort, wo Menschen flohen, zogen bewaffnete Gruppen ein, die bis heute regional und international unterstützt werden. Und dann hieß es, die syrische Regierung hat keine Kontrolle mehr und ist ohnehin die ‘Wurzel von allem Bösen’ in Syrien, wie es gerade erst wieder ein Sprecher des US-Außenministeriums erklärte. Syrien wird zu einem ‘failed state’ erklärt, in den man humanitär und militärisch eingreifen kann. […] Und dass es sich hier um einen Stellvertreterkrieg handelt, wird klar, wenn man versteht, dass der sogenannte Islamische Staat, der vor Ort „Daish“ genannt wird, anders als in unseren Leitmedien gern verbreitet, alles andere als aus dem Nichts aufgetaucht ist. Regionale und internationale Sponsoren stehen hinter ihm, sodass er offenbar über unerschöpfliche finanzielle Ressourcen verfügt. Diese Sponsoren benutzen die Kämpfer, um die Nationalstaaten zu zerstören, die vor 100 Jahren in der Levante gegen den Willen der damaligen Bevölkerung geformt worden waren. Damals ging es um die kolonialen Interessen von Großbritannien und Frankreich, heute geht es um die Sicherung von Rohstoffen für die von den USA angeführte westliche Welt. Der Zorn der Golfstaaten auf die unabhängige Politik, die in Syrien verteidigt wird, schlägt sich nieder in der Bewaffnung und Ausbildung von irregulären Kampfgruppen, die von ‘Daish’ dominiert werden. Der gesellschaftliche Boden, der sie nährt, ist Armut.”.

Telepolis: “Scholl-Latour: ‘Wir leben in einer Zeit der Massenverblödung’“. “Peter Scholl-Latour: ‘Wir leben in einem Zeitalter der Massenverblödung, besonders der medialen Massenverblödung.’. Telepolis: ‘Inwiefern?’. Peter Scholl-Latour: ‘Wenn Sie sich einmal anschauen, wie einseitig die hiesigen Medien, von TAZ bis Welt, über die Ereignisse in der Ukraine berichten, dann kann man wirklich von einer Desinformation im großen Stil berichten, flankiert von den technischen Möglichkeiten des digitalen Zeitalters, dann kann man nur feststellen, die Globalisierung hat in der Medienwelt zu einer betrüblichen Provinzialisierung geführt. Ähnliches fand und findet ja bezüglich Syrien und anderen Krisenherden statt.’”.

UPDATE (weils passt):

Telepolis: „Westen soll 2012 russischen Syrien-Friedensplan ohne Assad ignoriert haben„. „UN-Diplomat Martti Ahtisaari hält die aktuelle Katastrophe für ’selbstgemacht‘. Dem ehemaligen finnischen Präsidenten Martti Ahtisaari zufolge ignorierte der Westen vor drei Jahren einen russischen Friedensplan für Syrien, der einen Rücktritt des syrischen Staatspräsidenten Baschar al-Assad vorsah. Trifft der Vorwurf zu, wäre das insofern bemerkenswert, als der Alawit von westlichen Politikern immer wieder als Haupthindernis für eine mit Russland abgestimmte Anti-Terror-Politik im Nahen Osten präsentiert wurde.“

Ob die BILD darüber (ursprünglich eine Meldung des Guardian) berichten wird?

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