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Militärputsch in der Türkei: Hintergrundinformationen

Aktuell jagen gerade Meldungen durch die Medien und Twitter, Facebook und co, dass in der Türkei ein Putsch oder Putschversuch der türkischen Armee stattfindet. Nun kann man sich sicher mit guten Gründen auf den Standpunkt stellen, dass ein Staatsstreich in einer Demokratie immer verwerflich ist (Im Falle der „Maidan-Revolution“ in der Ukraine war allerdings – zumindest in Medien und Politik in der EU – lauter Jubel zu vernehmen). Im Falle der Türkei sind zur Beurteilung der Gesamtlage aber noch – neben den Schandtaten der türkischen Regierung unter Präsident Erdogan und seiner Partei AKP, die sicher auch als Mit-Auslöser mit in Frage kommen – einige Informationen zur Rolle des Militärs in Staat und Gesellschaft hilfreich: Die Militärs verstanden sich immer als Wahrer der weltlichen Ausrichtung der Türkei und lagen von Anfang an mit dem sehr religiös ausgerichteten Erdogan im Clinch.

Der aktuelle türkische Präsident Erdogan – zuvor war er Ministerpräsident – unterstützte und unterstützt zudem nachweisbar auch radikale Islamisten und viele in der Türkei lasten sicherlich wegen seiner nachweisbaren Verbindungen zum IS und der Bewegungsfreiheit dieser Dschihadisten im Land auch die Anschläge des IS in der Türkei an. Möglich auch, dass die Armee, gegen deren unliebsame Führungskräfte Erdogan jahrelang vorging, sich das zu einen nicht mehr gefallen lassen wollte und sich zum anderen nicht mehr zum Schlächter der türkischen Kurden machen wollte, als den Erdogan sie zur Zeit einsetzt. Im Westen hört man darüber nicht so viel, die offenbar als notwendig erachtete Rolle der Türkei im Syrienkrieg und in der Flüchtlingskrise lassen viele Politiker und Journalisten hierzulande über die unzähligen getöten Kurden im Südosten der Türkei großzügig zugunsten Erdogans hinwegsehen. Die kurdisch-türkische PKK und die türkische Armee sind sicher keine Freunde, aber es ist Erdogan, der sie aufeinander hetzt. Im eigenen Land, Türken gegen Türken (kurdischer Ethnizität). In den letzten Jahren hat man immer wieder Beispiele gesehen, dass Militärs vernünftiger waren als Politiker. Warum auch nicht hier? Theoretisch möglich wäre es. Die Hoffnung stirbt zuletzt.

Doch zurück zu den Hintergründen zum Militär und dessen Spannungen zur aktuellen Regierung. Im Folgenden ein paar ältere Nachrichtenartikel zu diesem Thema. Spiegel Online schrieb 2007: „Wahlen in der Türkei: Erdogan weist Militär in die Schranken. Im Streit um die Neuwahl des türkischen Präsidenten hat die Regierung den Generalstab mit klaren Worten gemaßregelt. Die Armee hatte zuvor vor einer Islamisierung der Türkei gewarnt. Einen Rüffel für die politische Einmischung gab es auch von der EU. Der Generalstab unterstehe ‚der Befehlsgewalt des Ministerpräsidenten‘, heißt es in einer heute in Ankara veröffentlichten Regierungserklärung. Der Generalstab hatte der islamistisch geprägten Regierungspartei AKP am Freitag vorgeworfen, das Prinzip der Trennung von Staat und Religion in Frage zu stellen.“.

In einem Artikel vom 26. April 2016 („Laizismus. Angriff auf das Herz der modernen Türkei„) heißt es in der Frankfurter Rundschau: „Seit Jahren versucht Erdogan, eine neue Verfassung in der Türkei einzuführen, um die bestehende Konstitution, die noch auf den Militärputsch von 1980 zurückgeht, zu ersetzen. Die AKP benötigt für eine Verfassungsänderung oder ein Verfassungsreferendum im Parlament auch Stimmen aus der Opposition. Aus der letzten Verfassungskommission zog sich die Opposition im Februar zurück, da sie Erdogans Vorstellung eines autokratischen Präsidialsystem nicht unterstützen wollte. Von der totalen Abschaffung des Säkularismus war allerdings auch von Seiten der AKP bislang nicht die Rede. […] Dagegen steht das Prinzip des Säkularismus als einer der wichtigsten Grundpfeiler der Republik Türkei, die den Islam 1928 als Staatsreligion gestrichen und damit die Grundlage für den modernen, demokratischen und säkularen Staat gelegt hatte. Die derzeitige Verfassung sieht eine strikte Trennung zwischen Religion und Staat sowie Religionsfreiheit vor.“.

Bei n-tv hieß es 2013 in dem Artikel „Vom ‚kranken Mann‘ zum aufstrebenden Land. Atatürk und die moderne Türkei„: „Vor 90 Jahren entsteht aus der Konkursmasse des Osmanischen Reiches ein neuer Staat – die Türkische Republik. Säkularismus und Laizismus sind in der Verfassung verankert. Verantwortlich dafür sind national gesinnte Militärs um Mustafa Kemal, später Atatürk genannt. Heute steht die Türkei vor einer Zerreißprobe. […] Die Atatürk nach dessen frühen Tod im Jahr 1938 […] folgenden Staats- und Regierungschefs stehen in den kommenden Jahrzehnten in seinem Schatten. Dafür sorgen die Generäle, die eine Art Überregierung bilden. Erst Ministerpräsident Recep Tayyip Erdogan macht in der ersten Dekade des 21. Jahrhunderts Schluss damit. Der Kampf um den Erhalt des laizistischen Systems sorgt in der Türkei für negative Begleiterscheinungen, die mit Demokratie im westlichen Sinne nicht viel zu tun haben. Nach 1945 greift das Militär drei Mal in die Politik ein. Zwei Mal, 1961 und 1980, kommt es zu Militärputschen mit Toten und Verletzten. Sich selbstständig machende Regierungschefs – wie der 1960 ein Ermächtigungsgesetz proklamierende Adnan Menderes – oder politische Instabilität durch ständig wechselnde Koalitionen führen dazu, dass die Soldaten ihre Kasernen verlassen. […]“.

Die österreichische Die Presse schreibt heute in dem Artikel „Der blutige Wahrer des Laizismus“ zum türkischen Militär: „Das Militär in der Türkei hat oft drastische, abschreckende, blutige und symbolische Maßnahmen ergriffen, um die kemalistisch-säkularen Prinzipien der Republik aufrecht zu erhalten. Die Geschichte der modernen türkischen Republik ist auch eine Geschichte der Armee: Erstmals haben die Militärs im Mai 1960 den Ministerpräsidenten Adnan Menderes abgesetzt, der sich entgegen der laizistischen Ausrichtung des Staates eine Islamisierung herbeiwünschte. Menderes wurde gehenkt […]“.

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