Zu dem Angriff der USA auf ein Hospital der Ärzte ohne Grenzen (MSF) in Afghanistan (Kunduz/Kundus) hat die humanitäre Hilfsorganisation in einem Bericht und in zwei Interviews mit der regierungskritischen US-amerikanischen Nachrichtenwebsite democracynow.org (ein Politikmagazinm nichtkommerziellen Rundfunk, das international von über 700 Hörfunk-, Fernseh- und Internetsendern übernommen wird) weitere schreckliche Details veröffentlicht. Bei diesem Kriegsverbrechen Anfang Oktober waren mindestens 30 Menschen ums Leben gekommen, Ärzte wie Patienten. Ein kurzes Interview/Statement von Ärzte ohne Grenzen sowie weitere Berichte zu dem Angriff auf das Krankenhaus und ein Interview mit Executive Director Jason Cone von MSF sind in dem folgenden halbstündigen Nachrichtenvideo von Democracy Now ca. ab Minute 11:45 zu sehen:
Die Hilfsorganisation fordert eine unabhängige Untersuchung des Kriegsverbrechens. US-Präsident Barack Obama trägt dazu zur Zeit nichts bei, um es mal zurückhaltend auszudrücken. Bei dem Luftschlag am 3. Oktober, der sich trotz Bitten und Flehen der Angegriffenen etwa eine Stunde hinzog, verbrannten bettlägrige Menschen bei lebendigem Leib und nach Aussagen von MSF-Mitarbeitern – und das toppt noch einmal alles – schossen die US-Piloten aus ihren Flugzeugen mit der Bordkanone auf fliehendes Klinikpersonal!
Im Video heißt es „In a new report, Doctors Without Borders describes patients burning in their beds, medical staff who where decapitated and lost limbs, and staff members shot from the air while fled the burning building.“. Das sagt die Ärzte-ohne-Grenzen-Präsidentin Meinie Nicolai dann auch noch einmal bei der Beschreibung des Angriffs sowie Executive Director Jason Cone in dem längeren Interview bei Democracy Now. Die Koordinaten des Krankenhauses waren den US- und afghanischen Behörden bekannt. Das Bombardement ging auch noch eine halbe Stunde weiter, als die Opfer bei US-Armee und afghanischen Behörden um die Einstellung des Feuers baten.
Insgesamt gab es laut MSF sieben Runden von Bombenangriffen, die alle sehr präzise auf das Krankenhaus gerichtet waren. Es wurde eben nicht zufällig getroffen. Die Klinik wurde in Brand geschossen, Menschen verbrannten, inklusive Kinder. Es wurden auch Schrapnell-Bomben verwendet, die Ärzten, Personal, Patienten die Gliedmaßen zerfetzen oder abtrennten. Fliehende wurde wie bereits berichtet von den Angreifern noch mit dem Bordmaschinengewehr „erlegt“. Als Mitarbeiter in ein Nebengebäude des Komplexes flohen, wurde auch dieses Gebäude angegriffen und diese Menschen getötet.
Vorherige Artikel bei Blauer Bote Magazin zu dem Luftschlag auf das Krankenhaus:
Nach dem Kriegsverbrechen: US-Panzer dringt gewaltsam in Kundus-Krankenhaus ein, verbreitet Angst und Schrecken
USA Today: USA gibt gezielten Angriff auf Krankenhaus in Kundus zu
Afghanische Regierung: US-Angriff auf Krankenhaus in Kundus war Absicht
Schwere Kriegsverbrechen als neue Normalität
USA zerbombt einziges funktionsfähiges Krankenhaus im Nordosten Afghanistans
UPDATE: Es gibt auch eine deutschsprachige Pressemitteilung von MSF zu dem neuen Bericht vom 5.11.2015:
Afghanistan. Ärzte ohne Grenzen veröffentlicht Bericht zu Angriff auf Krankenhaus in Kundus
Die internationale Hilfsorganisation Ärzte ohne Grenzen hat heute einen internen Bericht zu den Luftangriffen der US-amerikanischen Streitkräfte auf ihr Krankenhaus in Kundus (Afghanistan) veröffentlicht. Die chronologische Dokumentation der Ereignisse vor, während und kurz nach dem Bombardement am 3. Oktober gibt keine Erklärung dafür, warum das Krankenhaus angegriffen worden sein könnte. Es waren weder bewaffnete Kombattanten auf dem Krankenhausgelände, noch gab es auf dem Gelände oder von diesem aus Kampfhandlungen. Ärzte ohne Grenzen besteht auf einer unabhängigen internationalen Untersuchung der Ereignisse. Die Organisation setzt zudem die eigenen Untersuchungen der Vorfälle fort.
Die im Bericht festgehaltene bisherige interne Untersuchung beschreibt, wie Patienten in ihren Betten verbrannten, medizinische Mitarbeiter enthauptet wurde oder Gliedmaßen verloren und Menschen aus der Luft beschossen wurden, während sie versuchten, aus dem brennenden Gebäude zu fliehen. Mindestens 30 Menschen starben bei dem Angriff, darunter 13 Mitarbeiter von Ärzte ohne Grenzen, 10 Patienten und 7 noch nicht identifizierte Personen.
„Vom Inneren des Krankenhauses aus betrachtet, war der Zweck des Angriffes, zu töten und zu zerstören“, sagt Christopher Stokes, Geschäftsführer der für das Krankenhaus in Kundus verantwortlichen belgischen Sektion von Ärzte ohne Grenzen. „Wir wissen jedoch nicht, warum. Wir haben weder die Sicht aus dem Cockpit, noch wissen wir, was in den militärischen Kommandoketten der Afghanen oder US-Amerikaner geschah.”
Der Bericht enthält Details zur Übermittlung der GPS-Koordinaten des Krankenhauses sowie Protokolle der Telefonanrufe bei den Militärbehörden, mit denen Mitarbeiter von Ärzte ohne Grenzen versuchten, die Luftangriffe zu stoppen. Ärzte ohne Grenzen hatte mit allen Konfliktparteien vereinbart, dass die Neutralität des Krankenhauses gemäß den Regeln des humanitären Völkerrechts respektiert werden würde.
„Wir haben unseren Teil der Vereinbarung eingehalten. Das Trauma-Zentrum in Kundus war ein voll funktionierendes Krankenhaus, in dem auch zum Zeitpunkt des Angriffes operiert wurde“, sagt Dr. Joanne Liu, internationale Präsidentin von Ärzte ohne Grenzen. „Einrichtungen von Ärzte ohne Grenzen dürfen nie mit Waffen betreten werden, und diese Regel wurde von allen respektiert. Die Mitarbeiter der Klinik hatten vor und während der Luftangriffe die vollständige Kontrolle über die Einrichtung.“ Zum Zeitpunkt des Angriffs wurden in der Klinik 105 Patienten behandelt, unter ihnen waren verwundete Kämpfer von beiden Seiten des Konflikts, sowie Frauen und Kinder.
„Es kursieren einige öffentliche Berichte, dass der Angriff auf unser Krankenhaus gerechtfertigt sein könnte, weil wir Taliban behandelten“, sagt Stokes. „Verwundete Kombattanten sind nach dem Völkerrecht geschützt als Patienten. Sie dürfen nicht angegriffen und müssen ohne Diskriminierung behandelt werden. Medizinisches Personal darf niemals dafür bestraft oder angegriffen werden, dass es verwundete Kombattanten behandelt.“
Der heute veröffentlichte Bericht ist Teil einer andauernden Untersuchung der Vorfälle durch Ärzte ohne Grenzen. Das Dokument basiert auf 60 Gesprächen mit einheimischen und internationalen Mitarbeitern, die in der Klinik in Kundus arbeiteten, sowie auf internen und öffentlichen Informationen, Fotos des Krankenhauses vor und nach dem Angriff, Email-Korrespondenzen sowie aufgezeichneten Telefongesprächen.
„Der Angriff hat unsere Möglichkeiten zerstört, Patienten zu behandeln – und das in einer Zeit, in der besonders dringender Bedarf besteht“, so Liu. „Ein funktionierendes Krankenhaus, das Menschen versorgt, darf nicht einfach seinen Schutz verlieren und angegriffen werden.“
Ärzte ohne Grenzen fordert die unabhängige Untersuchung der Ereignisse in Kundus durch die in den Genfer Konventionen eingeführte „Internationale Humanitäre Ermittlungskommission“. Diese Kommission wurde im Ersten Zusatzprotokoll zu den Genfer Konventionen geschaffen (Art. 90) und ist die permanente Instanz speziell zur Untersuchung von Verletzungen des humanitären Völkerrechts. 76 Staaten, darunter die Bundesrepublik Deutschland, haben eine Erklärung zur Zuständigkeit der Internationalen Humanitären Ermittlungskommission unterzeichnet.
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