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Innenministerium verbietet wissenschaftliche Schriften auf Initiative der Arbeitgeberverbände

Der Kampf gewisser politischer und wirtschaftlicher Eliten gegen Wahrheit und Wissenschaft schlägt sich nicht nur in zunehmender Propaganda und medialer Bekämpfung von Kritikern nieder, er wird auch so langsam richtig handgreiflich: Der Vorstand der DGS (Deutsche Gesellschaft für Soziologie) berichtet („Meldungen des Vorstands. Vorläufiges Vertriebsverbot der Sammelpublikation ‚Ökonomie und Gesellschaft‘ (Bundeszentrale für politische Bildung) durch das Bundesministerium des Innern„), dass die Bundesregierung (das Bundesinnenministerium) auf Druck der deutschen Arbeitgeberverbände den Vertrieb einer wissenschaftlichen Sammelpublikation (d.h. mehrere Autoren/Spezialisten haben sich mit einem bestimmten Thema befaßt) zu Wirtschaft und Gesellschaft verbietet:

„Das Bundesministerium des Innern (BMI) hat auf Initiative der Bundesvereinigung der Deutschen Arbeitgeberverbände (BDA) der Bundeszentrale für politische Bildung (bpb) den Vertrieb der von Bettina Zurstrassen (Universität Bielefeld) wissenschaftlich verantworteten Sammelpublikation ‚Ökonomie und Gesellschaft‘, erschienen in der bpb-Schriftenreihe ‚Themen und Materialien‘, (vorläufig) untersagt. In der Publikation werden in einzelnen Beiträgen ökonomisch geprägte politische und gesellschaftliche Probleme auch aus soziologischer, politikwissenschaftlicher und volkswirtschaftlich heterodoxer Perspektive unterrichtsmethodisch aufgearbeitet.

[…] verwehrt sich gegen den massiven Eingriff des Ministeriums in die Freiheit der Wissenschaft.

Der DGS-Vorstand kritisiert den politischen Vorstoß der BDA und des Bundesinnenministeriums gegen den Anspruch der soziologischen Disziplin, ökonomische Phänomene wie den Lobbyismus auch aus soziologischer Perspektive zu analysieren und diese Erkenntnisse in Lehr-Lern-Materialien zu ökonomisch geprägten gesellschaftlichen Problemen für sozialwissenschaftliche Bildungsprozesse angemessen zu repräsentieren. Der Soziologie das Recht auf Beschäftigung mit ökonomischen Themen abzusprechen und den Schülerinnen und Schülern soziologische Erkenntnisse über Wirtschaft vorzuenthalten, ignoriert die wissenschaftliche Expertise der Disziplin und den Beitrag der soziologischen Aufklärung zur allgemeinen Bildung. Vor allem aber missachtet er das Gebot der Wissenschaftsorientierung von Bildung.“.

Der in der Publikation angesprochene Lobbyismus steht im Moment übrigens gerade im Fokus der Öffentlichkeit. Die Website abgeordnetenwatch.de hatte vor Gericht auf Veröffentlichung der Lobbykontakte der Bundestagsparteien geklagt. Der Bundestag ging dagegen auf Initiative von CDU/CSU und SPD in Berufung („Unsere Klage zu Lobbyisten-Hausausweisen: Bundestag geht in Berufung„). Inzwischen hat die SPD – wie die Linke und die Grünen – aber die Liste „ihrer“ Lobbyisten veröffentlicht, die durch sie Zugang zum Bundestag haben. Die CDU/CSU sperrt sich weiterhin. Das Innenministerium ist CDU-geführt (Bundesinnenminister Thomas de Maizière).

UPDATE:

Neues Deutschland schreibt über den Vorfall: „Unternehmerlobby lässt Bundeszentrale zensieren. Publikation über ‚Ökonomie und Gesellschaft‘ nach fragwürdigen Vorwürfen gestoppt. Soziologen-Gesellschaft und IG Metall sprechen von Skandal. Bei der Bundeszentrale für politische Bildung ist es offenbar zu einem Fall von Zensur im Auftrag der Unternehmenslobby gekommen: Wie unter anderem die Deutsche Gesellschaft für Soziologie kritisiert, habe das Bundesinnenministerium ‚auf Initiative der Bundesvereinigung der Deutschen Arbeitgeberverbände‘ (BDA) den Vertrieb der Publikation ‚Ökonomie und Gesellschaft‘ gestoppt.“.

Die IG Metall schreibt: „Skandal – Arbeitgeber machen Druck auf Bundeszentrale für politische Bildung. Das hat es in dieser Form bei der Bundeszentrale für politische Bildung (bpb) noch nicht gegeben. Im Februar 2015 erschien dort ein Sammelband zur sozioökonomischen Bildung. Dieser missfiel den Arbeitgebern so sehr, dass sie den Präsidenten der Bundeszentrale in einem Brief aufforderten, den Band ‚in dieser Form nicht weiter zu vertreiben‘. […] Inzwischen hat der Konflikt weitere Dimensionen. Es ist zu vernehmen, dass das Innenministerium als der bpb übergeordnete Behörde das Konzept der sozioökonomischen Bildung grundsätzlich infrage stellt und seine Verbreitung durch die bpb ablehnt. Soll so eine kritische politisch-ökonomische Bildung verboten werden?“.

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