„Kein politisches Motiv“ – Diese Aussage sprang einem vor etwas mehr als zwei Wochen bei den Berichten über einen Selbstmord durch Selbstverbrennung vor dem Parlament der Bundesrepublik Deutschland entgegen. Dabei waren Selbstverbrennungen schon immer ein Mittel des politischen Protestes. Wer sich „nur“ Umbringen will, der wählt nicht eine solche Todesart.
Wenn es ins Weltbild paßt, werden Selbstverbrennungen auch gerne in deutschen Medien gefeiert. In den letzten Jahrzehnten erfuhr diese Form des politischen Protestes, die in unseren Breiten so nicht vorkam, immer wieder hohe mediale Aufmerksamkeit. Wenn sich ein Mensch in Asien aus Protest gegen ein Regime selbst verbrannte, war das in Deutschland in den Medien und wurde mehr oder weniger als heroisch oder zumindest repektabel angesehen.
Auch aktuelle Selbstverbrennungen in Tibet oder auch die Selbstverbrennung in Tunesien, die letztendlich durch die von ihr verursachten Aufstände zum Sturz der Diktatur führte und den sogenannten Arabischen Frühling auslöste, haben immer dazu geführte, daß (zurecht) voller Anteilnahme gefragt wurde: „Was bringt einen Menschen nur dazu, so etwas zu tun?“.
Nun bringen sich also auch in Griechenland Menschen durch Selbstverbrennung um und protestieren mit dieser Form der Selbsttötung gegen die erbarmungslose Politik von EU und diversen internationalen Akteuren (und griechischer Regierung). Das wird in Deutschland eher als halb besorgnisserregende, halb belustigende trashige „Kriegsberichterstattung“ wahrgenommen, die weit weg von hier ist. Man sorgt sich nicht wirklich, daß es hierzulande zu solchen Zuständen kommen könnte.
Nun ist aber in Berlin etwas passiert, was diese unsere heile Welt stört und deshalb nicht sein darf: Ein 32-jähriger Student hat sich vor dem Reichstag – also dem deutschen Parlament – selbst verbrannt. Und das erste, was man davon hörte war der Satz: „Kein politisches Motiv!“. Wenn Texte reden könnten, hätten sie einem diese Worte direkt ins Gesicht geschriehen. In der Tagesschau dagegen wurde die Selbstverbrennung nicht einmal erwähnt.
Natürlich hatte diese Selbsttötung ein politisches Motiv! Selbstverbrennung ist DER Klassiker des Selbstmordes aus Protestgründen. Gibt es eigentliche überhaupt eine andere Selbstmordart, die so sehr mit politischem Protest zusammenhängt? Und umgekehrt: Gibt es eigentlich Selbstmörder, die sich „nur“ das Leben nehmen wollen und sich deswegen anzünden? Wer sich umbringen will, der springt vom Hochhaus, schlitzt sich die Pulsadern auf oder wirft sich vor einen Zug. Aber er verbrennt sich nicht. Und wenn, dann sicher nicht ausgerechnet vor dem Reichstag.
Was sich nach der Berliner Selbstverbrennung abgespielt hat, sollte zu denken geben. Es ist ein mehr als offensichtlicher Hinweis darauf, daß wir uns in einer Übergangsphase zu einem totalitären Regime befinden: In solch eklatant aufsehenerregender politischer Protest wird von den Medien als solcher geleugnet (oder wie im Fall der Tagesschau einfach totgeschwiegen), die Polizei gab die offizielle und eindeutig falsche Lesart vor und hält den Abschiedsbrief unter Verschluß. Würden wir so etwas nicht eher von einer Diktatur wie beispielsweise Weißrußland erwarten?
Im offiziellen Merkel-Deutschland gab es niemals eine Selbstverbrennung als politischen Widerstandsakt. Der Wiederständler wird als verwirrter „regulärer“ Selbstmörder angesehen und damit wird ihm auch noch das letzte Stückchen Würde genommen, das er für sich in dieser Welt reklamierte. Er wollte sich in seiner Verzweiflung umbringen und dabei mit seinem schmerzhaften Tod ein politisches Fanal setzen.
Wenn ihm das verwehrt wird und man sich die Art und Weise betrachtet, wie dies geschieht, dann muß man sich die Frage stellen, ob das alles noch in Bahnen abläuft, die mit der freiheitlichen-demokratischen Grundordnung, wie wir sie in Deutschland kannten, vereinbar ist. Da scheint ja ganz schön was am laufen zu sein, wenn man etwas so offensichtliches vertuschen will (und kann).
Das wird von fast allen ignoriert. Da bringt sich einer um, auf den Stufen des Reichstages und es geschieht: nichts.
Kein Wort von den Damen und Herren in diesem Gebäude.
Wenn einer fragt, warum, kommt das scheinheilige Argument, man müsse dem Gebot zur Zurückhaltung bei Selbsttöungen folgen.
Dasselbe in den Medien, nach der zigfach abgeschriebenen Medlung, die „kein politisches Motiv“ sehen wollte, kam nichts mehr. Gar nichts.
Noch vor einem halben Jahr waren überall zumindest Auszüge aus dem Abschiedsbrief von Dimitris Christoulas zu lesen, der darin die griechiche Regierung anklagte und sich vor dem gr. Parlament selbst tötete. Der hatte ein politisches Motiv.
Marius, so hieß der junge Mann in diesem Fall, hat angeblich keines und hat für die Öffentlichkeit völlig unwichtig zu sein.
Gruseligerweise ist es auch so, fast niemand interessiert sich dafür.
Es ist beängstigend und traurig.