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Das falsche Leben

Die Ereignisse von Chemnitz sind Symptom unserer kranken Gesellschaft. Florian Ernst Kirner und Jens Lehrich im Interview mit Hans-Joachim Maaz.

Direkt nach der Wiedervereinigung war Hans-Joachim Maaz in den Medien ein gefragter Gast, um dem sehr irritierten Westpublikum sozusagen die Psyche der Ostdeutschen zu erklären.
Diese analytische Entwicklungshilfe scheint nur bedingt gefruchtet zu haben. Sieht man sich auch dieser Tage den Mediendiskurs über Sachsen im Speziellen und die Ostdeutschen im Allgemeinen an, erscheint der Ostdeutsche nach wie vor als unbekanntes, ziemlich fragwürdiges Wesen, dessen vermeintlich völlig irrationales Verhalten ganz unverständlich bleibt.

Dabei sind sich die allermeisten Menschen selbst weitgehend unbekannte Wesen. Die Projektionen auf die jeweils anderen ermöglichen vor allem, diese dramatische und tragische Tatsache immer wieder vor sich selbst zu verhüllen. Fallen diese Hüllen, kommen oftmals Schmerz und Angst zum Vorschein. Genau das soll durch immer neue Feindbildkonstruktionen verhindert werden.

Wir kamen nach Halle, um gemeinsam mit Professor Maaz ein tieferes Verständnis jener eskalierenden Psychodynamik zu erarbeiten, die immer deutlicher droht, unsere Gesellschaft zu zerreißen.

Wir wollten aber auch wissen, wie ein ungebremstes Aufschaukeln diverser Konfliktenergien zu verhindern wäre – oder wie man mit bereits aufgerissenen Gräben immerhin so umgehen könnte, dass sich eine echte Chance auf kollektive Heilung auftut.

Hans-Joachim Maaz ist als streitbarer Geist bekannt, der wenig Scheu hat, sich auch ins Getümmel der Tagespolitik zu werfen. Das bringt ihm immer wieder einiges an Kritik ein. Er gilt als „AfD-Versteher“ und das meint mitunter, dass wer etwas zu verstehen sucht, wohl auch damit sympathisieren müsse.

Wir erlebten einen Menschen, der vor allem Arzt ist – und deshalb gewohnt, alle Seiten eines Konflikts zunächst in ihrer Psychodynamik zu analysieren, um vom dunklen Weg der Eskalation auf den grünen Zweig der Heilung zu kommen.

So kam ein hochspannendes, facettenreiches Gespräch zustande, das sich in spiralförmigen Bewegungen von der Oberfläche der tagespolitischen Erscheinungen immer tiefer zum Wesenskern unserer gesellschaftlichen Polarisierung bewegte.


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Ein Kommentar

  1. Nach dem 09.11.1989 war es nicht gern gesehen, den Friedenspreisträger des Deutschen Buchhandels, Arzt und Psychoanalytiker, Dr. med. Alexander
    Mitscherlich zu zitieren, wenn es um Aggression als eine Grundmacht des Lebens oder über die Dummheit, die überall dort gewünscht wird, wo nachweislich Informationen unterschlagen und die persönliche Entfaltung des Staatsbürgers durch einschüchternde Tabus verhindert werden, ging.
    Warum fangt ihr erst jetzt an?

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