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Die ideologische Mobilmachung

Über Chemnitz, die Jagd nach Videos, Pogrome und Glaubensbekenntnisse.

Das ist nicht zuletzt der Chemnitzer Staatsanwaltschaft zu verdanken, von der man in Spiegel Online lesen durfte:

„Auf Nachfrage des SPIEGEL verwies Oberstaatsanwalt Klein, Sprecher der Generalstaatsanwaltschaft in Dresden, in schriftlich freigegebenen Zitaten am Montag zunächst auf die rechtliche Schwierigkeit. Der Begriff ‚Hetzjagd‘ sei juristisch nicht definiert, so der Jurist. ‚Ich verstehe unter einer Hetzjagd etwa mehrere Personen, die einen Menschen durch die Stadt jagen, um diesen zu verprügeln oder körperlich massiv anzugehen.‘ Das, was seine Behörde bislang ausgewertet habe, enthalte keine Hinweise auf derartige Hetzjagden. ‚Wir sind mit der Auswertung allerdings noch nicht fertig. Es kann theoretisch sein, dass auf weiterem Bild- und Filmmaterial ein solcher Vorgang enthalten ist‘, fügte Klein hinzu.“

Die Aussagen des Chefredakteurs der lokalen Tageszeitung, der nicht nur selbst, sondern auch mit Mitarbeitern vor Ort war und sich klar von dem Begriff „Hetzjagd“ distanziert, waren nicht ausreichend. Im Gegensatz zu den meisten Medien waren für die „Neue Presse“ die Ausschreitungen in Chemnitz am Sonntagabend dies eben nicht. Sehr schnell hatte Torsten Kleditzsch im Deutschlandfunk erklärt, warum. Er bestreitet nicht, dass Gewalt stattgefunden habe, er weist nur darauf hin, dass die verbale Beschreibung massiv eskaliert, die Begrifflichkeiten also falsch waren.

Das blieb aber lange Zeit die einzige Stimme der Vernunft in den Medien – auch in den „sozialen“. Wer – speziell in „linken“ Kreisen – nach Quellen in Form von Videobelegen fragte, wurde sehr schnell als Nazi-Versteher, Verharmloser von Nazi-Gewalt, als Naivling oder als jemand, der „subtil die linken Kräfte verunglimpfe“, angegangen. Zumindest war das meine Erfahrung, als ich mich Montag vergangener Woche auf die Suche nach Videobeweisen machte.

Dass meine Suche nur erfolglos bleiben konnte, bestätigte mir endgültig Roland Alexander, Autor, Journalist und aktiv in der Welt, dann mit folgenden Tweets, die ich hier aus Gründen der Lesbarkeit zusammenfasse:

„Die Berichterstattung über die Verwendung des Begriffes ‚Hetzjagden‘ für die erste Demo in Chemnitz ist meiner Meinung nach ein Musterbeispiel, wie wir Journalisten das Vertrauen der Bevölkerung verspielen. Der Ablauf ist geradezu klassisch …
1) Die Regierung macht einen (in diesem Fall kommunikativen) Fehler.
2) Der Fehler wird v regionalen Medien (i d Fall @freie_presse) sauber dokumentiert u verantwortungsvoll eingeordnet
3) Wir Überregionalen pennen oder wollen es uns nicht mit Regierung verscherzen
4) Die @AfD skandalisiert, was wir hätten berichten sollen – u rührt Falschbehauptungen hinein.
5) Leitmedien wachen auf u berichten: ‚Die @AfD sagt…‘
6) Leute fragen sich: Hat @AfD recht?
Kurz: We fucked it up! Again!“

Gut eine Woche vergeblichen Suchens hatte damit für mich ihren Abschluss gefunden. Ein Ereignis, das nicht stattgefunden hat, zu beweisen, ist eben nicht möglich. Und mit diesem Vorhaben hatte meine Suche ja eigentlich begonnen.

Nach dem Mord, den anschließenden ersten Demos am Sonntag und nachdem ich zwei Videos gesehen und einige Textbeiträge gelesen hatte, war ich auch ziemlich auf der „Menschenjagd, das geht gar nicht!“-Schiene. Da ich seit meiner Jugend überzeugte Antifaschistin und Antirassistin bin, stand ich „emotional auf der Barrikade“!

Es kam später zu einer Diskussion mit einem Facebook-Freund, der mich aufforderte, ihm mal Links zur Menschenjagd zu schicken. Leider hatte ich nur das „Hasi, bleib hier!“-Video abgespeichert und bekam von ihm zu hören, das wäre das Einzige, das alle verwendeten. Ich war mir sicher, ein zweites Video gesehen zu haben, und machte mich auf die Suche in den Untiefen des Internets. In Zeiten, in denen jeder mit seinem Handy alles dokumentiert – wir erinnern uns an das umfassende Bildmaterial vom G20-Gipfel im letzten Jahr –, musste es doch ein Leichtes sein etwas zu finden, auch wenn es nicht das Video wäre, an das ich mich glaubte zu erinnern. Und ich fand…

…nichts.

Ich fragte Linke, ich fragte Migranten nach Belegen für das, was von der Menschenjagd inzwischen zum Pogrom aufgeschaukelt worden war und von Politikern und Medien inzwischen aufs Schärfste kritisiert wurde. Es gab Hinweise auf Textbeiträge von Journalisten auf Twitter, es gab Videos von den Demos am Tag danach – aber für Sonntag blieb es bei … NICHTS. Nach 5 Tagen fand ich dann doch noch das zweite Video, an das ich mich erinnert hatte, muss aber zugeben, dass man darin nichts Eindeutiges erkennen kann – wenn man nicht emotional „voreingestellt“ ist.

Was ich fand, waren massenweise Bilder und auch Videos von friedlichen Demonstranten. Die habe ich allerdings nur in sozialen Medien beziehungsweise auf YouTube gesehen. Ich fand auch Berichte „normaler“ Menschen, die über zunehmende Probleme aufgrund von Gewalt auf den Straßen in Chemnitz berichteten.

Ein Artikel in der Emma, über den ich im Netz gestolpert bin, bestätigte die Berechtigung dieser Ängste: „Nesrin hat auch Angst vor Neo-Nazis. ‚Es gibt hier Menschen mit einer rechten Gesinnung. Aber eigentlich fühle ich mich wohl in Chemnitz.‘ Ihre Töchter gehen gern auf Hip-Hop-Konzerte und hatten in der Schule noch nie Probleme wegen ihrer türkischen Mutter. Es mag komisch klingen, aber die meiste Angst habe ich zurzeit vor Ausländern, vor diesen jungen Männern, vor allem wegen meiner Töchter.“
In den Medien war die sonntägliche Demo von Anfang an „Nazi“, „Menschenhatz“ und „braune Ossis“ – und blieb auch weiter in diesem Tenor. Fast bis heute.

Jetzt wurde ich sehr hellhörig. Mit „Nie wieder Krieg, sondern auch: Nie wieder Auschwitz.“ hat Fischer in den 90iger Jahren meine emotionale Unterstützung für den Jugoslawienkrieg „getriggert“. Dass dieser Krieg mit einer Lüge begann, wurde vom Monitorüberzeugend dokumentiert. Dass er völkerrechtswidrig war, hat Ex-Kanzler Gerhard Schröder inzwischen in aller Öffentlichkeit bestätigt.

Ich habe in Bezug auf diesen Krieg erst sehr spät begriffen, was man da mit mir gemacht hat. Dem „Auschwitz-Frame“ konnte ich mich nicht entziehen. Aber: Ich habe meine Lektion gelernt. Mit dem Begriff „Pogrom“ lasse ich mich nicht triggern.

Dass sich Faschisten/Neonazis am Sonntag unter die Demonstranten gemischt haben, steht selbstverständlich außer Frage. Solche Demos werden instrumentalisiert und genutzt – von allen Seiten. Dass es Rangeleien und Schlägereien gab – ebenfalls keine Frage. Und die Bedrohungen von Menschen mit sichtbarem Migrationshintergrund waren absolut indiskutabel. Aber derartige Bilder von Gewalt kennt man ja – LEIDER – von allen Demos und von allen Seiten. G20 ist sicher allen noch in Erinnerung. Aber Menschenjagd – gar Pogrom? Im Polizeibericht gab es keinerlei Angaben von Verletzten oder Anzeigen – zumindest habe ich keinen einzigen Beleg dafür gefunden.

Trotzdem fand man diese Begriffe weiterhin in nahezu allen Medien und sie kamen wie selbstverständlich aus den Mündern aller Politiker. Und nicht nur das: Hetze, ja gezieltes Aufhetzen und Provokationen werden massiv weiterbetrieben.

Jacob Augstein schreibt über die Demonstranten von „Pimmeln mit Ohren“. Die Linke in Berlin rief unter dem Motto „Gemeinsam gegen rechte Hetze“ zur Demo auf. So weit, so gut. Eine Berliner Facebook-Freundin postete ein Foto von dieser Demo. Mit einem Plakat, auf dem ich dann lesen durfte: „Nazis verreckt“. Keine Hetze?

Direkt am Tatort wird ein „Refugees Welcome“-Banner aufgestellt. Wer will die Menschen in Chemnitz so provozieren oder demütigen? Und warum? Ich weiß es nicht.

Eines hat sich nach den Erfahrungen von Chemnitz für mich aber erneut bestätigt. Ich werde weiterhin alles hinterfragen, was von Medien und Politikern in derartiger Einhelligkeit und Intensität kommuniziert wird. Denn es sind die gleichen Politiker und Medien,

  • die mir 2015 sofort berichteten, dass ein Flüchtling aus Eritrea durch Rechtsextreme getötet wurde, was zu massiven Protesten gegen Rassismus auf der Straße führte; dass sich – Tage später – ein Mitbewohner aus dem gleichen Flüchtlingsheim als Täter herausstellte, fand deutlich weniger mediale Aufmerksamkeit,
  • die behaupten, dass der Verfassungsschutz (VS) die Verfassung schützt – und dann wird die NPD nicht verboten, weil zu viele Führungskräfte der Partei Mitglied des VS waren und die NSU-Akten werden für 120 Jahre gesperrt,
  • die sich darüber aufregen, wenn in Deutschland Vollidioten den Hitlergruß zeigen, aber in der Ukraine nazistische Kräfte unterstützen, die schon hunderttausend Mal den Hitlergruß gezeigt haben und die Straßen nach Hitlers Kollaborateuren benennen.

Ich hätte diesen Medien und Politikern diesmal fast geglaubt. Danke an meinen Facebook-Freund, der mich rechtzeitig wieder auf „Spur“ gebracht hat.

Dass mit den Ereignissen von Chemnitz der Schulterschluss von AfD, PEGIDA und anderen örtlichen „rechts-außen“-Gruppen erfolgt ist, der Zulauf zur AfD massiv angeheizt wurde und es jetzt zu einer weiteren Polarisierung zwischen „links“ und „rechts“ kommt – das alles glaube ich sofort. Das wundert mich auch überhaupt nicht. Denn genau das befürchte und beobachte ich schon lange. Leider.

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