Interview mit dem Journalisten und Medienkritiker David Goeßmann. Exklusivabdruck aus „Lügen die Medien?“.
Herr Goeßmann, auch Sie sind mit einem Beitrag in dem Buch »ARD & Co.: Wie Medien manipulieren« vertreten. Und ich dachte immer, der Vorwurf, Medien würden manipulieren, käme »von rechts« – Sie aber erheben ihn auch als Journalist. Wie kommt es dazu? Wogegen richtet sich Ihre Kritik?
Lassen Sie es mich mit einem der größten investigativen Journalisten des letzten Jahrhunderts sagen. Der US-Journalist I. F. Stone hatte bei seiner Arbeit ein ehernes Prinzip: Reporter sollten mit der Voraussetzung an ihre Arbeit gehen, dass mächtige Institutionen lügen, und nicht damit, dass sie die Wahrheit sagen. »Governments lie« war seine Devise. In den 1950er Jahren wollte jedoch keine Zeitung den angesehenen Journalisten anstellen. Er stand auf schwarzen Listen der US-Regierung. 1953 gründete er den berühmten Newsletter I. F. Stone’s Weekly, aus der Not geboren. Der »muckraking journalist« Stone war damit eine Art Pionier-Blogger, Vorbild für unabhängige Journalisten wie Michael Moore, Glenn Greenwald oder Jeremy Scahill.
Während New York Times, CBS und Co. in den Vereinigten Staaten einfach Regierungspropaganda weiterreichten, opponierte Stone bereits früh gegen den Vietnamkrieg, gegen Diskriminierung und politische Repression. Sein journalistischer Stil war schmucklos:
»Ich habe mich nie für Insider-Kram interessiert. (…) Ich versuchte vielmehr, Informationen bereitzustellen, die belegt werden können, so dass die Leser sie selbst überprüfen können. Ich bemühte mich, die Wahrheit aus Anhörungen, offiziellen Mitschriften und Regierungsdokumenten so akkurat wie möglich freizulegen. (…) In jeder Ausgabe habe ich versucht, Fakten und Meinungen, die sonst nirgends in der Presse aufzufinden sind, zu bieten.«
Stone war es auch, der dem US-Präsidenten Lyndon B. Johnson vorhielt, dass er zum Vorfall im »Golf von Tonkin« nicht die Wahrheit sage und Ungereimtheiten verschweige, veröffentlicht in seinem »one-man« Weekly. Die millionenschweren US-Mainstreammedien von New York Times und Washington Post mit besten Kontakten in die gesellschaftlichen Schaltzentralen schwiegen dazu.
Mit der gleichen Skepsis, die I. F. Stone der Regierung entgegenbrachte, sollte man auch an die Berichterstattung der Mainstreammedien herangehen. Denn auch sie stellen mächtige Institutionen dar. Wer sich anschaut, wer die Medien besitzt, finanziert, managt, den notwendigen Strom an Informationen und Nachrichten täglich bereitstellt oder sie mit »Gegenfeuer« beeinflussen und disziplinieren kann, der sollte mit einer tiefen Grundskepsis die Zeitung morgens aufschlagen oder die Nachrichten anschalten. Die Fragen im Kopf sollten immer lauten:
Sieht die Welt wirklich so aus? Erhalten wir das volle Bild über relevante Ereignisse? Wer erhält ein großes Forum und wer nicht? Wo wird verzerrt, gelogen, weggelassen, ausgeblendet und mit doppelten Standards berichtet?
Man kann natürlich auch dem Idealismus der »freien Presse« folgen. Das ist die Grundhaltung, die uns anerzogen worden ist. Sie macht jedoch keinen Sinn. Die gesellschaftlichen Machtverhältnisse enden ja nicht auf wunderbare Weise an den Toren der Medienunternehmen und Rundfunkanstalten.
Journalisten sollten daher vor allem mit der Wahrheit verheiratet sein – und nicht mit ihren Medienunternehmen oder -anstalten. Und Medienkritik sollte eine ihrer vornehmsten Aufgaben sein. Denn was die Bürger über die Welt erfahren, bekommen sie aus den Massenmedien. Daher muss die Berichterstattung permanent überprüft und hinterfragt werden in Hinsicht darauf, ob die Medien dieser Verantwortung auch gerecht werden.
Auch ist es nicht so, dass wir bei null anfangen müssten: Es gibt bereits einen enormen Korpus an fundierter, gut belegter Medienkritik und -analyse. Viele Journalistinnen und Journalisten tragen täglich dazu bei, uns eine andere, zum Schweigen gebrachte Welt zu präsentieren, fast immer jedoch außerhalb der klassischen medialen Öffentlichkeit. Sehr beindruckend, sehr progressiv, sehr inspirierend. Das ist der Keim für die allerorts so dringend notwendige Veränderung.
Aber ist Medienkritik nicht per se »rechts«? Also etwa die Rede von der »Lügenpresse«; ein Wort, das ja zum »Unwort des Jahres« 2014 erklärt worden ist…
Es hat immer auch eine Kritik an den Medien gegeben, dass sie zu »links«, zu »liberal« seien. Im politischen Mainstream wird dieser Mythos permanent evoziert, um Grenzen zu markieren und Meinungs-»Exzesse« schon im Keim zu ersticken. Aber es gibt die Vorwürfe auch von außerhalb – mit einer ähnlich kruden Vorstellung von »Liberalität«. Das Pegida-Wort »Lügenpresse« ist natürlich ein Geschenk für jene, die fundierte Kritik auf Distanz halten wollen. Denn wer das Grundvertrauen in Süddeutsche, Spiegel & Co. infrage stellt, darf keine Liebkosungen erwarten. Mächtige gesellschaftliche Institutionen haben kein Interesse daran, infrage gestellt zu werden. Das gilt auch für moderne Massenmedien.
Wer in den 1960er Jahren den Vietnamkrieg und die Rolle westlicher Medien kritisierte, wurde als »antiamerikanisch« diskreditiert. Wer den offiziellen Diskurs über die »Angriffe auf den Wohlfahrtsstaat« attackiert, ob nun als Agenda 2010 oder »Griechenlandrettung« maskiert, dem werden ideologische Kreuzzüge unterstellt. Bei der Ukraine-Krise landet man schnell neben Putin und Menschenrechtsverletzungen, früher waren es Stalin und der Gulag. Bei der Kritik an den Massakern der israelischen Regierung im Gazastreifen und deren medialer Präsentation wird rituell eine neue »Welle von Antisemitismus« ausgemacht. Und wer nach 9/11 in Vorbereitung auf den US-geführten Luftkrieg gegen Afghanistan nur leicht vom offiziellen Meinungskurs abwich, fand sich als Terroristen-Versteher einsortiert.
Wir erinnern uns noch an die Demutsgeste, die der damalige »Tagesthemen«-Moderator Ulrich Wickert machen musste, weil er es gewagt hatte, in einem Interview auf die Bush-Kritik der indischen Schriftstellerin Arundhati Roy hinzuweisen. Die damalige CDU-Vorsitzende Angela Merkel stellte in der Bild-Zeitung daraufhin fest, dass Wickert damit »absolut nicht mehr tragbar als Nachrichtenmoderator im öffentlich-rechtlichen Fernsehen« sei. Wickert hatte schlicht missverstanden, dass eine im Feuilleton der Frankfurter Allgemeine Zeitung publizierte »Außenansicht« noch lange nicht bedeutet, dass sie auch zitierfähig ist. Und heute eben der Verweis auf »Lügenpresse«, Pegida, Deutschnationale oder rechte Verschwörungstheoretiker. Alles nicht überraschend und schon gar nicht neu. Die wirksamste Waffe ist aber, unangenehme Medienkritik einfach zu ignorieren.
Und auf welche Art und Weise »manipulieren« die Medien denn nun genau? Wie organisieren sie die Manipulation – und was ist ihr Handwerkszeug?
Um nicht missverstanden zu werden: Es ist nicht so, dass Journalisten sich hinsetzen und sagen: »So, jetzt manipulieren wir mal die Ereignisse.« Ich denke nicht einmal, dass man das Journalisten der Prawda zu Zeiten der Sowjetunion vorwerfen könnte. Jedenfalls sind bewusste Manipulationen nicht das Kernproblem.
Journalisten der Medienunternehmen und Rundfunkanstalten berichten im Prinzip, was sie vor Augen haben, durchaus professionell und objektiv. Aber sie tun das nicht im luftleeren Raum, sondern in einem sehr engen ideologischen Rahmen.
Wie gesagt, die Massenmedien haben eine institutionelle Schlagseite. Diese Schlagseite funktioniert wie ein Set von Filtern, durch das die Informationen und Meinungen hindurchgehen. Und die Filter sind so beschaffen, dass nicht alle Informationen, Meinungen, Hintergründe und Stimmen die gleiche Chance haben zu passieren, die gleiche Aufmerksamkeit erhalten – auch wenn ihre Relevanz für das Verständnis von Ereignissen essentiell ist.
Haben Sie dazu ein konkretes Beispiel parat?
Ja, nehmen wir exemplarisch die Weltklimakonferenz in Paris 2015. Das Leitmedium FAZ brachte zum Auftakt ein mehrseitiges »Klimagipfel-Spezial«. Im Aufmacher erfuhren wir, dass unter Führung der Klimakanzlerin Angela Merkel die »Klimamusterschüler«, die Europäer, beim letzten entscheidenden Gipfel in Kopenhagen 2009 »machtlos« »vom Katzentisch aus« zusahen, wie Obama in Nachtsitzungen versuchte, einen Deal herzustellen – und scheiterte. Nun solle gewährleistet werden, dass die Energiewende, wie sie »unter Ächzen« in Deutschland vorgemacht werde, auch weltweit gelinge. Klima habe längst eine Priorität auf den »Tagesordnungen der G-7-, der G-20-Staaten« – dank Merkel.
Aber es gäbe da Bremser und Klimaschurken. »Saudi-Arabien und Venezuela« etwa blockierten die Klimaverhandlungen. Und sie sind nicht allein: »Unter Verweis auf die ›historische Verantwortung‹ der Europäer und Amerikaner weigern sich Staaten wie China, Indien oder reiche Ölstaaten bisher, einen angemessenen Anteil der Kosten dafür zu tragen, den Klimawandel zu verhindern oder sich an seine Folgen anzupassen.« Wir erfahren, dass die Industrienationen nicht mehr wie noch 1990 zwei Drittel, sondern »nur noch die Hälfte« der weltweiten Treibhausgase emittierten. Aber: »Die Europäer allein können das Klima nicht retten« (1).
Im Kern ist das der ideologische Rahmen, in dem die Mainstreammedien Klimaschutz und die Klimakrise thematisieren: EU und Deutschland bemühen sich, die Welt zu retten, andere – wie die USA – müssen noch mitgezogen werden, und die Bremser – China & Co. – müssen endlich auch liefern, nur so kann die Klimakrise verhindert werden. Es gibt noch weitere ideologische Elemente in der medialen Berichterstattung, zum Beispiel, dass die Bevölkerungen für die Rettung des Planeten aufkommen müssen und sollen – und nicht etwa jene, die bis heute mit der Schädigung der Atmosphäre enorme Profite machen.
Schauen wir uns demgegenüber mal die Realität an: Bisher haben Deutschland und die EU kaum Emissionsreduktionen durch Klimaschutz erreicht, die »Musterschüler« haben unter anderem von günstigen externen Umständen wie der Deindustrialisierung nach dem Fall der Mauer profitiert. Die deutsche Regierung hat auf EU-Ebene sogar viele Klimaschutzmaßnahmen blockiert und aufgeweicht, beispielsweise die CO2-Grenzwerte bei Neuwagen. Deutschland ist zudem »kohlenstoffinsolvent«, hat von 1990 an gemessen längst sein »Emissionsbudget« ausgeschöpft und ist tief im »Treibhausgas-Soll«.
Würden die Emissionen, die etwa in China bei der Produktion von Gütern entstehen, die schließlich in Deutschland konsumiert werden, nicht auf das Konto von China, sondern auf das der Deutschen angerechnet, hätten wir ein Viertel mehr Treibhausgase in der Bilanz, China hingegen weitaus weniger. Auch ist es weiter in einer Führungsposition bei den Pro-Kopf-Verbräuchen von Treibhausgasen. Ein Deutscher produziert beispielsweise doppelt so viele Treibhausgase im Jahr wie ein Chinese und achtmal so viele wie ein Inder.
Auch macht die EU-Zusage, bis 2030 die Treibhausgasemissionen um 40 Prozent zu senken, nur ein Fünftel des »fairen Anteils« aus, den die Staatengemeinschaft eigentlich leisten müsste, wenn man das verbleibende Globalbudget an CO2-Emissionen einigermaßen gleich verteilen würde. Ähnliches gilt für die USA, während die Entwicklungsländer wie China, Indien & Co. mit ihren Reduktionszusagen ihren Anteil sogar übererfüllen, wenn man konservative Fairnesskriterien anlegt. Selbst wenn man den Fairnessgedanken einmal ausblendet und die Emissionsrealität zur Kenntnis nimmt, müssen die Industrienationen massiv nachlegen.
Der britische Klimawissenschaftler Kevin Anderson, Vize-Direktor des renommierten »Tyndall Center for Climate Change Research«, hatte schon 2013 den damaligen EU-Kommissionspräsidenten Manuel Barroso in einem offenen Brief eindringlich gemahnt, dass die EU aus wissenschaftlicher Sicht bis 2030 mindestens 80 Prozent der Emissionen gegenüber 1990 reduzieren müsste, um einen gefährlichen Klimawandel zu verhindern (2).
Doch solche Ansichten leiten weder die EU-Politik noch die deutschen Massenmedien an. Mit wenigen Ausnahmen jedenfalls. Ebenfalls irrelevant für die deutsche Presse: Mit den aktuellen Klimaschutzmaßnahmen, insbesondere im Bereich Kohleverstromung, wird Deutschland den Prognosen nach selbst sein offizielles, viel zu niedriges Klimaziel für das Jahr 2020 sehr wahrscheinlich verfehlen. Die Reaktion der Presse: Das deutsche »Klimanotprogramm« sei nach Jahren steigender Emissionen ein »Etappensieg für Hendricks« und der »Kohlekompromiss« ein »Durchbruch gegen Klimakiller« – so exemplarisch die taz (3). Während die vor Kurzem aufgeflogenen Emissionstricksereien Chinas die deutschen Artikelschreiber echauffieren, wird über die Schönrechnereien der eigenen Regierung wohlwollend hinweggesehen.
Um aber auf die Frage zurückzukommen: Wie also wird hier verzerrt, manipuliert oder gar gelogen? Bleiben wir beim Beispiel Klimakrise und Klimaschutz:
Die Medien geben die offizielle Version wieder und filtern die »unangenehmen Tatsachen« möglichst aus. So werden Blicke hinter die glitzernden Zahlenfassaden der Mächtigen vermieden.
So feiert die Presse das Klimaabkommen von Paris bei der COP 21 als »historisch«, obwohl es die Erde um 3 bis 4 Grad Celsius erwärmen wird, mit katastrophalen Folgen. Wenn die Realität an den Rändern mal durchscheinen darf, hat das keine Auswirkungen auf die Berichterstattung in den Medien und damit auf das, was bei den Bürgern ankommt.
Stimmen aus Entwicklungsländern, von indigenen Gruppen, kritischen Analysten und Wissenschaftlern, aus der Klimagerechtigkeitsbewegung, von Mahnern und Aktivisten tauchen in der Berichterstattung kaum auf oder werden umgehend neutralisiert: Als beispielsweise am 29. November 2015 fast 700 000 Menschen in Protesten für Klimagerechtigkeit weltweit in Dutzenden Ländern auf die Straße gingen, fand sich darüber auf Seite 7 der Süddeutschen Zeitung eine einzige kleine und zudem versteckte Notiz. Und als vor einem Jahr 400 000 Menschen in New York die Industrieländer zu fairem Klimaschutz in einer der größten Demonstrationen des Landes aufforderten, war das Ergebnis ähnlich.
Wie gesagt: Niemand hat hier bewusst manipuliert, das Resultat des Ganzen ist aber dennoch ein Zerrbild der realen Welt, das sich an die Interessen und Bedürfnisse der Mächtigen und nicht an die der Bürger und Bewegungen anschmiegt.
Im eingangs erwähnten Aufsatz im Buch »ARD & Co.« haben Sie das ja exemplarisch am Beispiel der Berichterstattung der »Süddeutschen Zeitung« zum Thema Griechenland untersucht. Welches Bild zeichnete sich denn hier?
Die SZ hat über den ganzen Krisenverlauf hinweg nahezu ausschließlich aus der Perspektive der deutschen Regierung, der Troika-Politik, der »Gläubiger« berichtet. Als die Syriza-Partei Anfang 2015 an die Macht kam, legte sie schließlich alle journalistischen Manieren ab und bezeichnete die griechischen Verhandlungspartner Varoufakis und Tsipras als »Hasardeure« und irre »Achterbahnfahrer«, die mit einer »Harakiri-Politik« eine »Vertrauensimplosion« mit einem »Maximalschaden für die Menschen« erzeugen wollten.
Chef-Kommentator Stefan Kornelius betitelte den »irren Kurs« der Syriza-Regierung mit den Worten »Ins Graos« (4). Der vermeintlich »irre Kurs« von Syriza bestand dabei vor allem darin, Wirtschaft und Beschäftigung ein wenig beleben zu wollen, um überhaupt eine Basis für die Rückzahlung der Schulden zu schaffen. Grund genug für die SZ, mehr irrationale Troika-Politik zu fordern und ein »Graos« an die Wand zu malen!
Natürlich macht es ökonomisch überhaupt keinen Sinn, eine Volkswirtschaft in einer tiefen Rezession durch Kürzungen aus der Krise führen zu wollen. Weder in der Theorie noch in der Praxis. Deutschland selbst oder auch die USA haben das in der Finanz- und Wirtschaftskrise nach 2008 daher auch nicht getan, im Gegenteil: Sie befeuerten die Volkswirtschaft mit einem massiven Konjunkturprogramm, finanziert mit neuen Schulden. Im Guardian, in der New York Times oder in der Financial Times rieben sich ob der ideologischen Fixierung Deutschlands im Falle Griechenlands dann auch Nobelpreisträger verwundert die Augen.
In der SZ wurde diese Kritik jedoch schlicht als »politischer Aktivismus« abgestempelt. Nur einige wenige Journalisten in deutschen Zeitungen schrieben gegen diesen offensichtlichen deutschen Irrsinn an. So etwa Harald Schumann vom Tagesspiegel, Ulrike Herrmann von der taz und Wolfgang Münchau von Spiegel Online. Es ist wirklich erstaunlich, wie wenig Diskussion hier zugelassen wurde und wie rigide gefiltert und auch direkt manipuliert worden ist…
Nun also doch … manipuliert?
In diesem Fall, ja. Ein Beispiel: So behaupteten die Medien etwa, allen voran erneut die SZ, dass die privaten Gläubiger und Banken sich »in der Nacht, als das Wunder geschah«, mit über 100 Milliarden Euro an der »Rettung« beteiligt hätten, dem sogenannten »Haircut«. Zum ersten Mal seien die Banken auf einer Riesensumme sitzen gelassen worden, hieß es. Jeder konnte wissen, dass den Banken der größte Teil davon von den Steuerzahlern kompensiert wurde. Die Medien verschwiegen das aber.
Und noch etwas ist wichtig:
Diese ganze ökonomische PR im Dienste der Troika-Politik wird nämlich von einer Art »Ideologie der Schulden« zusammengehalten, die so tief in die Berichterstattung eingelassen ist, dass sie gar nicht mehr thematisiert werden muss. Sie besteht im Prinzip darin, dass die Griechen zahlen müssen – selbst dann, wenn die Schulden, um die es geht, vollkommen illegitim und keineswegs von »den Griechen« überhaupt zu verantworten sind.
Ein Beispiel: Im Frühling 2015 kommt der unabhängige Wahrheitsausschuss unter Leitung des führenden Schuldenexperten Eric Toussaint, eingesetzt vom griechischen Parlament, in einem Schuldenaudit zu dem Ergebnis, dass alle griechischen Schulden illegitim, illegal und nach internationalem Recht »verwerflich« sind und daher gestrichen werden müssen. Das Audit und die Schlussfolgerungen basieren auf einem enormen Fundus an Material und Dokumentation. So geht ein Großteil der griechischen Schulden etwa zurück auf Kredite der Militärdiktatur zwischen 1967 und 1974. Diese sind nach internationalem Recht »odious« und müssen nicht zurückgezahlt werden.
Dazu kommen Kredite aus korrupten Deals, meist Rüstungsgeschäfte mit französischen oder deutschen Konzernen, sowie risikoreiche Kredite europäischer Großbanken nach der Euro-Einführung. Die Griechen stimmten diesen Deals weder zu, noch profitierten sie davon. Die griechische Staatsquote lief in der ganzen Zeit unterhalb des EU-Durchschnitts. Nach Ausbruch der Krise wurden den ausländischen Banken ihre griechischen Ausfallrisiken dann von der Troika abgenommen, getarnt als »Griechenlandrettung«. Gepaart mit einem Kürzungsprogramm katapultierte man dann die griechische Schuldenquote in astronomische Höhen.
Dabei verstießen die Troika, die bilateralen Kreditgeber und die griechischen Regierungen gegen diverse rechtliche Bestimmungen, insbesondere menschenrechtliche Garantien, so das Audit. Von der SZ erfährt man über das Audit aber nur so viel, dass der »Kreuzzug Varoufakis«, der gar nichts mit dem Audit zu tun hatte, »gefährlicher Unfug« sei – ohne dass die Ergebnisse der Wahrheitskommission überhaupt zur Kenntnis genommen werden. Die Reparations- und Schuldenforderung der Griechen gegen Deutschland deklariert das nationale Leitmedium umgehend als »illusorisch«, die rechtlichen Tricksereien der Bundesregierung hingegen als »juristisch betrachtet« überzeugend (5).
Die Lektion ist: Griechische Schulden müssen zurückgezahlt werden, auch wenn sie jeglicher Legitimität entbehren, das Land ökonomisch weiter in die Krise treiben und die Last auf unbeteiligte Dritte und die Schwächsten abgewälzt wird. Bei »unseren« Schulden hingegen gelten andere Maßstäbe, so etwa bei den deutschen Reparationsschulden, der deutschen Zahlungsverweigerung bei der Entwicklungshilfe oder den Klimaschulden, die einfach übergangen werden können. Ohne diese journalistische Doppelmoral würden politische Medienkampagnen mit Slogans wie »Geisterfahrer Tsipras« oder »Pleitegriechen« sofort in sich zusammenbrechen und als Heuchelei öffentlichem Gelächter anheimfallen.
Würden Sie verallgemeinern: Derlei Eindeutigkeit prägt unsere Medien zu jeder denkbaren Zeit?
Nun, Eindeutigkeit gibt es bei solchen Dingen natürlich nicht. Dafür sind die Medien viel zu komplex.
Aber ja, moderne Massenmedien tendieren dazu, Stimmen der Macht zu sein. Wenn die Eliten sich auf einen politischen Kurs geeinigt haben, dann ist es die Aufgabe von Massenmedien, um Zustimmung dafür zu werben.
Medien haben natürlich unterschiedliche Funktionen. Sie bieten zum Beispiel Unterhaltung und Information. Das ist auch gemeinhin bekannt.
Über das aber, was Edward S. Herman und Noam Chomsky in ihrem Klassiker Manufacturing Consent: The Political Economy of the Mass Media als Propagandafunktion bezeichnen, wird standhaft geschwiegen. Und das, obwohl die These schlüssig ist, mit vielen empirischen Fallstudien gut belegt werden kann und weitreichende Konsequenzen hat. Wenn man so will, ist dieses Schweigen eine Bestätigung des sogenannten Propagandamodells – also das Ausfiltern von dem, was den Kurs der Mächtigen in Frage stellt – der beiden genannten Wissenschaftler auf einer höheren Ebene.
Aber es gibt ja auch kritische Stimmen…
Ja, die gibt es. Wie gesagt etwa Wolfgang Münchau, Ulrike Herrmann und Harald Schumann, die während der Griechenlandkrise wichtige Einsichten lieferten. Das hat vor allem mit journalistischer Professionalität und Ethos zu tun.
Die »guten Leute« fungieren aus systemischer Sicht als … »linke Pluralitätskasper«, verstehe ich recht?
Wir sollten uns keinen Illusionen hingeben. Sie leisten wichtige Arbeit, von der wir alle profitieren können und sollten. Es sollte mehr davon geben. Richtig ist aber auch: Ein paar Journalisten, die vom allgemeinen Kurs abweichen, machen noch keine »Massenmedien« und »Massenberichterstattung«. Beim sogenannten »Krieg gegen den Terror« dürfen ja zum Beispiel auch Kritiker wie Jürgen Todenhöfer zu Wort kommen. Aber die mediale Rahmung des internationalen Terrors wird dadurch nicht geändert. Terror ist qua definitionem »ihr« Terror gegen »uns«, niemals »unser« Terror und »unsere« Aggression gegen »sie«.
Der US-»Drohnenkrieg« mit deutscher Unterstützung, der in der realen Welt ein terroristisches Mordprogramm ist, wird von den deutschen Medien als »völkerrechtlich strittig« präsentiert – wenn überhaupt darüber berichtet wird. Machen Sie einfach einmal den Gegencheck: Sind die Terrorakte von Paris etwa »rechtlich strittig«? Zudem: Die Opfer »ihres« Terrors sind für die Medien »wertvoll« und erhalten angemessene, zum Teil sogar hysterische Beachtung; die Opfer »unseres« Terrors können übergangen werden. Vergleichen Sie einmal die Berichterstattung zu den Attentaten von Paris mit den Opfern der Kriege und Militäroperationen der USA und ihrer Alliierten üblicherweise am anderen Ende der Welt.
Streift man das infantile Grundvertrauen in die Massenmedien einmal ab und betrachtet nüchtern die Fakten, stellt sich die Frage: Was sagt uns dieses Schweigen, diese ideologische »Schieflage« in der Berichterstattung über die klassischen Medien und ihr Verständnis von demokratischer Verantwortung?
Wie erklären Sie diese Parteilichkeit, diesen massenmedialen »Einheitsbrei« ganz im Sinne der Weltsicht der Mächtigen, diese Entfremdung der veröffentlichten Meinung von der Bevölkerung?
Sind die modernen Massenmedien gut konstruiert? Würde irgendjemand sie so einrichten, wenn er ernsthaft an Demokratie, einer breiten öffentlichen Debatte und Machtkontrolle interessiert wäre?
Ein zentrales öffentliches Gut einer Klasse von reichen Verlegern, Investoren und Unternehmen in die Hände zu geben ist sicherlich keine gute Idee.
Der sozialdemokratische Vordenker für die Arbeiterpresse Ferdinand Lassalle erkannte schon im 19. Jahrhundert, wohin die Reise geht. Er stemmte sich gegen die »Geschäftspresse« mit ihren Annoncen, diese »schnöden Augendiener der geldbesitzenden und also abonnierenden Bourgeoisie und ihres Geschmackes«.
Die Arbeiterpresse, darunter auch libertär-sozialistische und anarchistische Zeitungen mit einer Auflage von 150 000 verkauften Exemplaren, wurde vom steigenden Kapitaldruck und dem Inseratenmarkt, dem sie sich schließlich gegen den Rat Lassalles hingab, in der Weimarer Republik an den Rand gedrängt. Dabei verdrängte nicht etwa fehlender Bedarf die Anti-Establishment-Presse, sondern die »unsichtbare Hand« des Marktes. Nach der Gleichschaltung der Medien im Nationalsozialismus und der von den Alliierten kontrollierten Lizenzpresse eroberte die »Geschäftspresse« mit alten und neuen Verlegerfamilien in der Nachkriegszeit den Markt und konsolidierte ihn Stück für Stück, während sie sich nach außen abriegelte. Dieser Markt ist heute derart konzentriert, dass selbst den Idealisten der »freien Presse« gelegentlich mulmig wird.
Dass das Unbehagen dabei nie in Häresie umschlägt, hat einen einfachen Grund: Die Idealisten haben eine Doktrin, die so alt und tief verwurzelt ist wie die »Geschäftspresse« selbst. Im Verein für die Arbeiterpresse schrieb der Kölner Parteiredakteur Wilhelm Sollmann 1926 als Reaktion auf die unablässige Mitgliederkritik am Anzeigenteil der Zeitungen: »Wir müssen unseren Genossen beibringen, sozialistische Politik und Ethik im redaktionellen Teil zu suchen und den Inseratenteil zu beurteilen wie einen anderen Markt auch.
Lassalles Ideal, die Presse vom Annoncengeschäft zu befreien, ist nach der Entwicklung seit den verflossenen sechs Jahrzehnten nicht zu verwirklichen. Zeigen wir uns zimperlich, so helfen wir nur, die Kassen der bürgerlichen Inseratenplantagen noch mehr zu füllen, die mit Annoncengewinnen Politik gegen die Arbeiterklasse machen« (6).
Die damalige Chefredakteurin und spätere Mitherausgeberin der Zeit, Marion Gräfin Dönhoff, klagte 1972 über die Konzentration der Presse. Doch ihr Glaube wankte nicht. Sie griff zum intellektuellen Arkanum, das noch jedem Idealisten der »freien Presse« in schweren Zeiten zur Verfügung steht: Märkte sind demokratischer als eine vom Staat reglementierte Presse. »Der Bürger kann am Markt auswählen, was er lesen will: Wenn er Sex, Verbrechen und Sensationen bevorzugt, dann bekommt er sie. Aber dies ist dann nicht die Schuld der Presse« (7).
Die eigentliche Gefahr bei kommerziellen Medien sei nicht, dem Verleger und den werbenden Unternehmen nach der Nase zu schreiben, sondern dem verflachten Massengeschmack zu folgen. Denn Käufer und Leser entschieden über Medienprodukte, so die Doktrin vom freien Meinungsmarkt á la von Dönhoff, die selbst extreme Konzentrationsprozesse mit dem Ideal der »freien Presse« zu versöhnen weiß. Die Nachfrage bestimme das Angebot. Eine Art demokratischer Rückkopplung der journalistischen Berichterstattung. Wenn Qualität und Vielfalt verschwinden, liege das nicht am Anbieter, sondern am Kauf- und Lesevotum der Bürgerinnen und Bürger, dem das Angebot folgen müsse.
Diese Logik ist nicht ganz von der Hand zu weisen, übersieht aber, dass die Bürger nur das wählen können, was ihnen vom monopolisierten Massenmarkt angeboten wird. Wenn die Verleger, Investoren, Kapitaleigner und werbenden Unternehmen keine Arbeiterpresse, »radikale« Tageszeitungen, alternative Nachrichtenmagazine oder Graswurzeljournalismus ermöglichen und finanzieren, dann sind solche Angebote auf dem Massenmarkt auch nicht zu finden. Zu groß sind ihre Wettbewerbsnachteile. Denn kein Massenmedium kann sich allein über den Verkauf finanzieren, also über das »Votum« der Bürger.
Die Mainstreammedien sind massiv querfinanziert über Unternehmen und verlegerisches Kapital. Die Hauptquelle bei dieser Querfinanzierung sind werbende Unternehmen. Ihr »Votum« ist daher entscheidend.
Das gilt auch nach der Anzeigenkrise. Die Erlöse aus dem Zeitungsverkauf finanzieren nicht einmal die technische Herstellung und den Vertrieb der gedruckten Zeitungen. Vom Privatrundfunk ganz zu schweigen. Die meinungsmachenden »Leitmedien« wären zudem ohne die Rückendeckung der mächtigen Verlagsgruppen, Medienkonzerne, Investoren, Banken sowie der von Verlegern und Eliten gegründeten intransparenten Medien-Stiftungen wie etwa jener der FAZ längst vom unerbittlichen »freien Markt«, auf dem die Bürger gemäß der Idealisten-Doktrin den Finger heben und senken, hinweggespült worden.
Die Zeit beispielsweise wurde über dreißig Jahre lang vom Stern verlagsintern querfinanziert, bis das Wochenblatt überhaupt einmal den Break-even schaffte. Die FAZ, SZ und so weiter schreiben immer wieder rote Zahlen und müssen bezuschusst werden. »Die Welt wird seit Jahrzehnten nicht nur über Werbe-/Anzeigenerlöse, sondern auch mittels anderer Produkte aus dem Springer-Konzernverbund querfinanziert und gilt selbst unter Einbeziehung von Anzeigenerlösen als Verlustobjekt.« Zu diesem Fazit kam eine Studie »Zur Ökonomie der Medien: Zwischen Marktversagen und Querfinanzierung« von 1998. Daran und an dem systematischen Marktversagen der Leitmedien hat sich nicht viel geändert.
Zudem ist die spezifische Verkaufs- und Querfinanzierungsökonomie der Medien keinesfalls neutral. Insbesondere die »Agenda Setting«-Medien, also die Leit- oder Qualitätsmedien wie FAZ, SZ, Welt, Handelsblatt, Spiegel, Zeit und so weiter, an deren Themensetzung sich andere Medien orientieren, zielen nicht auf »die Bürger« ab. Ihre Zielgruppe sind vor allem einkommensstarke und vermögende Oberschichten, Führungspersönlichkeiten, Akademiker und Multiplikatoren. Sie zählen ökonomisch weit mehr als Arbeitslose, Leiharbeiter, Geringverdiener oder Familien, deren Einkommen gerade so die laufenden Lebenshaltungskosten abdeckt.
Ein prekär Beschäftigter kann sich hohe Abopreise gar nicht leisten und besitzt daher auch keinen Wert für Unternehmen, die Werbung schalten, insbesondere für hochpreisige Güter und Dienstleistungen. Der Geschäftsführer einer Firma hingegen, der eine Zeitung kauft, fährt nicht nur hohe »Ratings« bei der privaten Konsumfähigkeit und -bereitschaft insbesondere im Luxussegment ein. Er gehört für die werbenden Unternehmen und Medien auch als »Konsummultiplikator« zum Beispiel bei betrieblichen Anschaffungen zur eigentlichen Zielgruppe. Der sogenannte Tausenderkontaktpreis, der die Werbepreise für einzelne Medien festlegt, registriert solche »Qualitäten« sehr genau.
Wie gesagt, die Machtverhältnisse der Gesellschaft spiegeln sich im Aufbau der modernen Massenmedien wider. Alles andere würde an ein Wunder grenzen.
Was journalistisch auf den Markt kommt und dort überleben kann, darüber entscheiden Verlage und Unternehmen mit ihren Investitionen und Werbemillionen – nicht die Bürger.
Es gibt darüber hinaus äußere Faktoren, die die institutionelle Schlagseite der Massenmedien verstärken. Im Kern sind es die enormen Informations-, PR- und Disziplinierungskapazitäten, über die der Staat, Unternehmen und die an sie gebundenen Organisationen und Expertenpools verfügen. Ökonomisch gesehen stellen diese Institutionen einen kontinuierlichen, kostengünstigen und verlässlichen Strom an Nachrichten für die Massenmedien bereit.
Das tägliche »Informationsmanna vom Himmel« wird kanalisiert durch wiederkehrende Pressekonferenzen an festen Orten (also etwa Regierungssitze, Parteizentralen, Unternehmen, Verbände, Finanzzentren, Börsen), Pressemitteilungen, professionell organisierte PR und Öffentlichkeitsarbeit; durch die Bereitstellung von redaktionell aufbereitetem Bild- und TV-Footage; durch Hintergrundgespräche, Deadline-sensible Statements von Top-Entscheidern, permanenten Output von Studien, Statistiken und Zahlen, Analysen und Einschätzungen von Experten und Eliten, die Versorgung der Meinungsmärkte mit prominenten, an Statements geschulten Talkshowgästen und vielem mehr.
All das bildet das unerlässliche Rohmaterial für die informationshungrigen und unter Zeitdruck, Effizienz, kommerzieller Verwertung und Profitabilität operierenden Massenmedien. So hat sich, wie Studien belegen, ein eingespieltes Nachrichten-»Liefer-und-Abholsystem« zwischen mächtigen Bürokratien herausgebildet, das dafür sorgt, dass der überwiegende Teil der massenmedial verbreiteten Nachrichten auf der kaum bearbeiteten Wiedergabe von PR basiert, die Wirtschaft und Staat täglich ausstoßen.
Schwächer, nicht-hierarchisch und amorph organisierte Akteure, »politisierte« Bewegungen oder dissidente Intellektuelle können den Medienunternehmen diese Art sicherer Informationsbürokratien nicht bieten. Sie agieren dezentral und außerhalb des Schutzes mächtiger Institutionen. Ihre Positionen und Analysen widersprechen zudem meist diametral denen, die in den Nachrichtenroutinen die Ereignisse strukturieren. Journalisten und Medien, die derartige Gegenmeinungen transportieren, müssen sich daher mit kostenintensiven Recherchen oder Ausbalancierungen »absichern«, um drohendes Gegenfeuer von den Informationsmonopolisten abwehren zu können.
Die politischen und ökonomischen Eliten verfügen zudem über diverse Disziplinierungsinstrumente. Wenn ihnen etwas gefällt beziehungsweise nicht gefällt, können sie darauf reagieren, um es zu fördern oder abzuwürgen. Positive Sanktionen, die den Mächtigen zur Verfügung stehen, sind zum Beispiel die Versorgung einzelner Medien und Journalisten mit gezielten Leaks, »Enthüllungen« und »Scoop-Nachrichten«, die Auszeichnung durch Exklusivinterviews, diverse Vorzugsbehandlungen, Einladungen oder Clubzugänge, lukrative Vortragsangebote, die Schaltung von Werbung, Pressereisen, institutionelle Kooperationsangebote und so weiter.
Auf der anderen Seite können Abweichler bestraft werden mit Zugangssperren, Gegenfeuer in Form von Beschwerden, öffentlicher Kritik und Kampagnen, Schadensersatzklagen, Ausladungen aus Zirkeln, Anzeigenstornierungen und Ignoranz. Wer unangenehm auffällt und rote Linien überschreitet, wird ermahnt, gezügelt und im Einzelfall – siehe etwa Ulrich Wickerts Vergleich von Bushs Politik mit bin Ladens Terror – mit Drohungen oder Entsolidarisierung diszipliniert.
Die Idealisten der »freien Presse« gestehen diese »abträglichen Umstände« durchaus ein. Ihr Einwand ist jedoch: Die Wirkung der institutionellen Schräglage auf die Berichterstattung sei zu vernachlässigen. Denn abgesehen von einigen bedauerlichen Ausnahmen gäbe es keine direkte Beeinflussung der Journalisten durch die Verleger, insbesondere im Qualitätssegment. Ohne unmittelbare Intervention, ohne Zensurmaßnahmen, ohne ausdrückliche Verbote, so das Argument, sei eine Steuerung der Berichterstattung nicht denkbar. Die Journalisten würden schlicht nicht mitmachen. Sie fühlten sich auch keineswegs gegängelt und könnten im Großen und Ganzen das schreiben, was sie für wichtig erachteten und dächten.
Der Einwand leuchtet auf den ersten Blick ein. Journalisten können im Prinzip frei berichten. Dabei wird jedoch übersehen, dass die Mittel und Ressourcen, diese Freiheit zu nutzen – wie schon erläutert –, harschen institutionellen Beschränkungen unterliegen.
Wenn Journalisten sich subjektiv nicht gegängelt fühlen, dann liegt es daran, dass sie den Rahmen bereits akzeptiert haben, in dem »freie Berichterstattung« stattfindet. Die Entscheidung über den Rahmen fällen jedoch nicht Journalisten in freiem Austausch und Disput.
Wie gesagt, Verleger, Medienmanager, werbende Unternehmen und Investoren entscheiden über die grundsätzlichen Dinge und darüber, ob sie die von Journalisten ausgeübte Freiheit im Einzelfall für akzeptabel halten. Sie wählen das Personal aus und kündigen. Sie befördern Karrieren oder üben Druck aus. Die Verleger und Geschäftsführer haben die Kontrolle über alle Unternehmensbereiche, natürlich auch über die Redaktion. Sie geben die grundsätzliche Linie der Berichterstattung vor, die von der Chefredaktion, angebunden an die Geschäftsleitung, umgesetzt wird.
In Deutschland ist die Hoheit über die redaktionelle Grundhaltung sogar durch einen Tendenzparagraphen garantiert und geschützt (8). Wenn relevante Themen, Sichtweisen, Analysen und »unangenehme Tatsachen«, die den Konsens der Mächtigen grundsätzlich in Frage stellen, im Redaktionsalltag wie von Zauberhand verschwinden oder an die äußeren Ränder gedrängt werden, dann ist das das Ergebnis einer Kaskade von journalistisch-verlegerischen Entscheidungen, meist von den Ausführenden »freiwillig« vollzogen. Keine Zensur weit und breit. Der Effekt ist jedoch derselbe.
Kurzum: Die Doktrinen vom »demokratischen Medienmarkt«, von der »Trennung von Verlag und Redaktion« und vom »Journalisten als Held« verschleiern die realen Machtverhältnisse der modernen Massenmedien. Sie sind ein ideologischer Burgwall gegen die immer obszönere Macht der Medien-Fürstentümer, auf dem der journalistische Hofstaat sein Auskommen hat.
Wer die Massenmedien so einrichtet, wie sie es sind, hat kaum Interesse an Machtkontrolle und Demokratie.
Die eigentliche Funktion besteht vielmehr darin, die Bürger an den Kurs der Eliten anzubinden, Vertrauen in die Mächtigen und ihre guten Absichten zu schaffen, Unangenehmes aus dem Weg zu räumen, Lästiges zu übergehen, zu kritisieren, zu skandalisieren und aus dem Nähkästchen zu plaudern, wo nichts auf dem Spiel steht, und Wut über die Zustände in der Bevölkerung in die »richtigen« Bahnen zu lenken – also etwa gegen gierige Banker, Islamisten, expansionistische Russen, flüchtende Araber und Afrikaner, Sozialschmarotzer und Leistungsunwillige, »kommunistische« Politiker, übertriebene Gutmenschen und so weiter.
Hat sich Ihrer Meinung nach die Entwicklung in den letzten Jahren zugespitzt? Warum und wodurch tut sie das denn?
Ich würde sagen, dass das Bild gemischt ist. Ja, es gibt zunehmende Medienkonzentrationen, Kommerzialisierungen, schlechtere Arbeitsbedingungen für Journalisten und mehr PR-Einfluss. Das ist schädlich, weil die institutionelle Schieflage dadurch verstärkt wird. Aber die Berichterstattung hat sich auf längere Sicht betrachtet meiner Einschätzung nach verbessert. Das hat vor allem mit gesellschaftlichen Veränderungen zu tun.
Wir sind heute eine offenere Gesellschaft als noch in den 1950er und 1960er Jahren. Das ist das Verdienst von Bewegungen und Vorkämpfenden für verschiedene Rechte. Wir haben heute eine lebendigere Zivilgesellschaft! Und das lässt sich auch im Medienbereich beobachten. Die gesellschaftlichen Entwicklungen sind nicht spurlos an der Presse und den Journalisten vorbeigegangen. Das politische Spektrum hat sich erweitert. Aber man sieht dort, wo die Politik progressive Entwicklungen zurückdreht – wie im Fall der neoliberalen Wende – oder auch außenpolitisch aggressiver auftreten will, dass die Medien ihre Funktion als Megaphone der Eliten weiterhin gut erfüllen.
Was können wir als progressive Kräfte denn tun?
Das, was progressive Kräfte immer getan haben: Missstände ausmachen und sich politisch organisieren, um sie zu lindern oder zu beseitigen. Dabei sind Bildung, Information und Aufklärung zentral. Ohne sie geht es nicht. Und, ja, es macht Arbeit, sich durch Dokumente zu wühlen und die Hindernisse beiseite zu räumen, die einem rationalen Verständnis von politischen Ereignissen in den Weg gelegt werden. Aber im Prinzip kann jeder die medialen Verzerrungen entdecken, wenn er die richtigen Fragen stellt. Wir sollten beispielsweise nicht akzeptieren, nur über »ihren« Terror zu sprechen und »unseren« zu übergehen. Journalisten und Medienkritiker sollten dabei helfen, den täglichen politischen Diskurs- und Informationsschutt beiseite zu schieben und zu einer kritischen Haltung zu animieren. Keine kleine Aufgabe im Übrigen, aber sehr nützlich.
Sie setzen ja auf alternative Medien. Inwiefern könnten diese hilfreich sein?
Ich habe mit dem Journalisten und Dramatiker Fabian Scheidler 2009 das unabhängige TV- und Radio-Magazin »Kontext TV« gegründet. Seitdem produzieren wir Sendungen etwa über Krieg und Frieden, Gerechtigkeit, soziale Bewegungen. Wir haben über die Bankenrettung berichtet, die Eurokrise, die Klimakrise, die Wasserkrise, den Afghanistankrieg, die Ukrainekrise, die Ausbeutung Afrikas und vieles mehr. Wir sind zu Weltsozialforen nach Dakar und Tunis gereist, um von dort die Stimmen des globalen Südens, aber auch der Zivilgesellschaft der Industrienationen einzufangen. Und wir sind zum Weltklimagipfel nach Paris gefahren, um aus der Sicht der Klimagerechtigkeitsbewegung und der Entwicklungsländer die Verhandlungen zu beobachten.
All diese Stimmen, die sich in verschiedenen politischen Kämpfen befinden, bedeuten einen Schatz von Wissen, Analysen, Einsichten und Kommentierungen, der von den Mainstreammedien nicht genutzt wird. Er ist jedoch der Nährboden, aus dem sich geschichtlicher Fortschritt speist. Die Kräfte, die die Welt von unten verbessern wollen, brauchen Foren, auf denen sie voneinander lernen und sich austauschen können. Die klassischen Medien sind dafür nicht geeignet. Vielleicht können die progressiven Medien auch Einfluss auf die Mainstreammedien ausüben, indem sie sie mit »unangenehmen Tatsachen« infizieren. Amy Goodman von »Democracy Now« nannte das einmal »Trickle up«-Journalismus. Das wäre sicherlich sehr hilfreich, um Meinungsbildung und Demokratie im Land voranzubringen beziehungsweise überhaupt einmal zu ermöglichen.
Haben Sie vielen Dank für das Gespräch.
Stimmen zum Buch:
„Selten habe ich ein so differenziertes und fundiertes Buch über die Fragwürdigkeit unserer modernen Medienindustrie gefunden. Wer bisher nur geahnt hatte, dass da etwas schiefläuft, findet hier vieles bestätigt und wer noch immer glaubt, dass es jemand gibt, der das alles lenkt und steuert, kann hier sehr viel über sich selbst organisierende Systeme lernen…“
Gerald Hüther, Neurobiologe
„‚Das Medienkritik-Kompendium‘ steht eher klein auf dem Cover. Wie das Verlage halt so machen, normalerweise. Viel versprechen, damit die Kunden anbeißen. Nicht so bei diesem Buch. Jens Wernicke versammelt wirklich alles, was Rang und Namen hat in Sachen Medienkritik, und hebt dieses Genre so auf eine neue Stufe. Weg von plumper Journalistenschelte, weg auch von der Idee, im Kanzleramt oder irgendwo dort in der Nähe sitze jemand, der die Redaktionen im Land dirigiere. In diesem Buch geht es ans Eingemachte. Es geht um Medienbesitz, um Gedankenkontrolle und um den BND, um die journalistische Berufsideologie, um Wording. Kurz: Es geht darum, endlich zu verstehen, was die Medien mit uns machen.“
Michael Meyen, Professor für Allgemeine und Systematische Kommunikationswissenschaft
David Goeßmann, geboren 1969, ist freier Journalist. Er arbeitet unter anderem für den Deutschlandfunk, WDR und SWR. Von 2005 bis 2007 war er freier Auslandskorrespondent in Boston/USA, davor Parlamentsreporter und CvD der Deutschen Fernsehnachrichten Agentur. 2009 gründete er zusammen mit dem Dramatiker und Journalisten Fabian Scheidler das unabhängige TV-Nachrichtenmagazin Kontext TV. 2010 deckte er den Missbrauch von »Fake TV News« in deutschen TV-Nachrichtensendungen auf. Das vorliegende Interview ist die aktualisierte und erweiterte Fassung eines zuerst am 11. Januar 2016 auf den NachDenkSeiten erschienenen Textes.
Quellen und Anmerkungen:
(1) Frankfurter Allgemeine Zeitung, »Wirtschaft Spezial Klimagipfel«, 30.11.2015
(2) Siehe http://kevinanderson.info/blog/open-letter-to-the-eu-commission-president-about-the-unscientific-framing-of-its-2030-decarbonisation-target/
(3) Malte Kreutzfeldt: »Durchbruch gegen Klimakiller«, taz.de, 25.10.2015, http://www.taz.de/!5241749/
(4) Stefan Kornelius: »Ins Graos«, sueddeutsche.de, 12.7.2015, http://www.sueddeutsche.de/politik/griechenland-ins-graos-1.2561945
(5) Nikolaus Piper: »Eine Kommission für die Wahrheit«, Süddeutsche Zeitung, 3.7.2015; Stefan Ulrich: »Aufstand der Geschichte«, Süddeutsche Zeitung, 31.7.2015
(6) Kurt Koszyk, »Die Arbeiterpresse: Organisation, Probleme, Wirkung. Ein historischer Überblick«, in: Gewerkschaftliche Monatshefte, GMH 3/89, S. 183
(7) Marion Gräfin von Dönhoff, »Die Presse, die der Leser wünscht. Abhängig vom Gesetz des Marktes«, Die Zeit, 1.9.1972
(8) Im Betriebsverfassungsgesetz findet sich der sogenannte »Tendenzparagraph« für Tendenzunternehmen, dazu zählen auch Pressebetriebe. Der Paragraph sollte für mehr Informations- und Meinungsvielfalt im Konkurrenzkampf der Medien untereinander sorgen. Verlegern räumt er besondere Macht bei der Einstellung und Entlassung von Redakteuren ein. Wenn diese Karrieren befördern oder abwürgen, können sich die Unternehmer dabei auf die Wahrung der eigenen Tendenz berufen, ohne zu sehr von Betriebsräten gestört zu werden. Der Tendenzparagraph war immer ein Machtinstrument. Journalisten haben als »Tendenzarbeiter« ja auch keine Sonderrechte, um ihre eigene Tendenz zu schützen. In medialen Monopolmärkten, die heute viele Städte und Gemeinden prägen, ist der Paragraph natürlich ein Verstärker von journalistischer »Einfalt«, da dort die blockierte »innere Pressefreiheit« zugleich die »äußere« weiter reduziert.