Die Angst vor dem eigenen Irrtum | Von Paul Schreyer
„Der eigene Irrtum ist auf seltsame Art inakzeptabel geworden, gilt als geradezu unprofessionell. Man weiß Bescheid, kennt sich aus, lässt sich nichts vormachen. So gesehen erscheint die Angst vor dem Irrtum in der Corona-Krise nur als spezielle Spielart einer sich generell ausbreitenden Härte, Gereiztheit und Diskussionsverweigerung, die auch bei vielen anderen Themen zu beobachten ist. Diese allgemeine gesellschaftliche Überspanntheit könnte man als psychische Entsprechung eines aus dem Ruder laufenden, bis zum Zerreißen gespannten ökonomischen Systems betrachten, das an den Nerven aller darin Eingewobenen immer unnachgiebiger und brutaler zerrt.
Es lässt sich annehmen, dass die Möglichkeit des eigenen Irrtums für einen Menschen in der Corona-Krise immer dann in besonders bedrohliche Nähe rückt, wenn Tausende oder sogar Zehntausende Menschen öffentlich gegen die Entscheidungen der Regierung protestieren. Einem selbstkritischen, zur Reflexion fähigen Menschen eröffnet sich dann die Frage, ob diese Demonstranten vielleicht vernünftige Argumente haben könnten. Dass ein Journalist oder Politiker diese Frage in seinem Inneren zulassen kann, dass er oder sie in der Lage ist, darüber nachzudenken, und damit diese Angst vor dem eigenen Irrtum ins Bewusstsein treten zu lassen, ist ein wesentlicher Schlüssel zur Überwindung der gesellschaftlichen Spaltung.
„Der Andere könnte recht haben“
Der Philosoph Hans-Georg Gadamer (1900-2002), bekannt für seinen Satz „Der Andere könnte recht haben“, zitierte in einem Interview zu seinem 100. Geburtstag Hegel: „Ein gebildeter Mensch ist ein Mensch, der mit den Gedanken des anderen mitgehen kann.“ Gebildet sei, so Gadamer, wer „seine Selbstliebe überwinden“ könne, „sodass er hört, was der andere sagen will.“ Heute erleben wir vor allem das Gegenteil.“
Dazu auch mein Beitrag vom August 2020:
Lieber Faschismus als einen Fehler zugeben?
Es sieht so aus, als laufen viele der amtlichen Corona-Propaganda auch deshalb hinterher, weil sie nicht eingestehen können, dass sie falsch lagen. Die absolute Mehrheit der Experten und Wissenschaftler hat trotz aller Bedrohungen zur Corona-Thematik eine völlig andere Meinung als unsere Regierung und ihre angeschlossenen Medien, Politiker und Aktivisten. Ich habe beispielsweise bereits vor Monaten einen Artikel „250 Expertenstimmen zur Coronakrise“ zu dem Thema veröffentlicht. Wir wurden alle verarscht. Wir sollten alle über unseren Schatten springen. „Wir haben doch von nichts gewusst“ wird bei der nächsten Entnazifizierung keine Ausrede sein.