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Die Mega-Denunziation

Die Verleumdungen gegen den Arzt und Umweltmediziner Wolfgang Wodarg haben die Ausmaße einer totalitären Kampagne erreicht.

Mutation und Virulenz

Richter und Hoffmann schreiben:

„Wodarg argumentiert, dass es ein normaler Vorgang sei, dass sich Viren verändern, um sich verbreiten zu können. Allerdings lässt er die Problematik des aktuellen SARS-CoV-2-Ausbruchs unter den Tisch fallen: Für dieses Virus gibt es bisher weder einen Impfstoff noch eine Immunität in der Bevölkerung. Lässt man der Pandemie also ihren Lauf, ist das Gesundheitssystem schnell überlastet“ (1).

Richter und Hofmann scheinen hier einen kausalen Zusammenhang zwischen Mutationen und Ansteckungsgefahr zu ziehen. Allerdings sind Mutationen bei Viren, auch wenn ihnen der Laie vielleicht etwas Machtvolles oder Unberechenbares zuschreibt, völlig normal und spielen in deren und unserer Entwicklung eine wichtige Rolle.

Es gibt keinen Grund zu der A-priori-Annahme, dass Mutationen per se einen Virus virulenter machen; das gilt auch für Mutationen, die es einem Virus wie SARS-CoV-2 erlauben, vom Tier auf den Menschen übertragen zu werden (4). Das gibt auch die Tagesschau zu, schreibt dann aber:

„Allerdings deuten die ersten Erfahrungen mit dem neuen Virus darauf hin, dass Infektionen häufiger schwer oder sogar tödlich verlaufen als beispielsweise bei Grippeviren“(2).

Schauen wir uns die bisherigen Erfahrungen mit dem neuen Virus in Italien und Deutschland mal an. Das italienische Institute Superiore di Sanita veröffentlichte am 17. März 2020 einen Bericht zu den positiv getesteten und verstorbenen Fällen in Italien.

Demnach betrug das mediane Alter der Patienten mit COVID-19-Diagnose 63 Jahre, das der verstorbenen Patienten 80,5 Jahre. Nur 0,8 Prozent aller Verstorbenen hatten keine Begleiterkrankung, jeweils knapp ein Viertel hatte eine beziehungsweise zwei und fast die Hälfte (48,5 Prozent) drei oder mehr Begleiterkrankungen.

Die Zahlen für Deutschland ergeben ein ähnliches Bild (5): Das Durchschnittsalter der bisher Verstorbenen 39 Patienten, über die medial berichtet wurde, lag bei über 80 Jahren, der jüngste Patient war 49 Jahre. Mindestens 81 Prozent wiesen mindestens eine bereits bekannte Begleiterkrankung auf.

Zusammengenommen scheinen diese Daten Wodarg‘s Hypothese, das neue Virus sei nicht gefährlicher als normale Grippeviren, bisher also zu bestätigen und die Behauptungen der Wodarg-kritischen Journalisten zu widerlegen.

Eine neue Abschätzung der Infektions-Sterberate durch eine japanisch-amerikanische Arbeitsgruppe kommt auf einen Wert von 0,04 Prozent (6), was Wodarg’s Argument weiter bestätigen würde, wobei diese Berechnung erst noch von Fachkollegen im sogenannten Peer-Review-Verfahren geprüft werden muss.

Als letzte Anmerkung sei erwähnt, dass allein die tägliche Auflistung neuer Fälle keine objektive Beurteilung ob der Gefährlichkeit des SARS-CoV-2 Virus im Vergleich zu anderen Viren zulässt. Es fehlen nämlich parallele Aufzählungen von anderen Virusinfektionen und damit zusammenhängender Todesfälle. Letztere werden zum Teil nicht getestet und nicht berichtet. Subjektiv entsteht aber der Eindruck, dass die SARS-CoV-2-Pandemie täglich weiter um sich greift.

Das Argument mit dem Test

Die Journalisten Richter und Hofmann sowie die Tagesschau kritisieren Wodarg dafür, dass er Skepsis gegenüber dem in der Charité entwickelten SARS-CoV-2 Test zeigt. Wodarg argumentiert auf seiner Homepage mit den folgenden drei Punkten:

  • Die benutzten Tests sind nicht amtlich validiert, sondern lediglich von miteinander kooperierenden Instituten befürwortet worden.
  • Die Tests werden häufig (Wuhan und Italien) selektiv, zum Beispiel bei ohnehin Schwerkranken, angewendet und sind dann für die Abschätzung einer Seuchengefahr unbrauchbar.
  • Ohne die in ihrer Aussagekraft und ihrer verfälschenden Anwendung fragwürdigen Tests gäbe es keine Indikation für Notfallmaßnahmen.

Zum ersten Punkt: In der Originalpublikation der Testentwicklung schreiben die Autoren um den Virologen Christian Drosten:

„We report here on the establishment and validation of a diagnostic workflow for 2019-nCoV screening and specific confirmation, designed in absence of available virus isolates or original patient specimens. Design and validation were enabled by the close genetic relatedness to the 2003 SARS-CoV, and aided by the use of synthetic nucleic acid technology” (7).

Der Test wurde also in einem Schnellverfahren ohne originale SARS-CoV-2-Isolate von Patienten, sondern mit Hilfe der synthetischen Biologie auf Basis des alten SARS-CoV entwickelt. In ihrer Studie behaupten die Autoren, der Test habe bei 297 Proben von anderen Viren kein einziges Mal eine positive Reaktion gezeigt (7). Darunter waren auch 67 Proben anderer menschlicher Coronaviren.

Demnach hätte der Test eine Falsch-Positiv-Rate von 0 Prozent. Diese Annahme ist allerdings tatsächlich unrealistisch, da es in der klinischen Anwendung diagnostischer Tests immer eine gewisse Falsch-Positiv-Rate gibt. Dass diese nicht bekannt ist, liegt in der Tat an der fehlenden Validierung des Tests, was genau Wodarg‘s Argument ist.

Eine chinesische Validierungsstudie zu den in China verwendeten COVID-19-Tests berichtet zum Beispiel von einer mindestens knapp 50-prozentigen Falsch-Positiv-Rate (8). Rein wissenschaftlich gesehen ist also Skepsis gegenüber dem von Drosten und Kollegen entwickelten Test angebracht, solange bis es weitere Validierungsstudien gibt.

Zum zweiten Punkt: Hier spielt Wodarg auf das Problem der unbekannten Basisrate der COVID-19-Erkrankung an. Wie ich bereits in einem anderen Artikel erklärt habe (9), ist die Basisrate der Anteil einer Population, welche infiziert ist.

Mit anderen Worten ist die Basisrate die Wahrscheinlichkeit, mit der man eine Infektion bei einem zufällig ausgewählten Individuum erwartet, ohne einen Test durchgeführt zu haben.

Ein positives Testergebnis allein sagt nichts über die Wahrscheinlichkeit aus, auch tatsächlich infiziert zu sein. Um diese nämlich zu berechnen, bedarf es neben den Teststatistiken der Sensitivität und Spezifität (= 100 Prozent minus Falsch-Positiv-Rate) auch der Kenntnis der Basisrate, denn nach dem Satz von Bayes gilt:

P(V|T) = P(T|V)*P(V)/P(T)

Hierbei bezeichnet P(V|T) die Wahrscheinlichkeit, mit dem Virus infiziert zu sein (V = Virusinfektion), nachdem ein positives Testergebnis erhalten wurde (T = positiver Test), P(T|V) die Wahrscheinlichkeit, ein positives Testergebnis zu erhalten, wenn man tatsächlich mit dem Virus infiziert ist (= Sensitivität), und P(V) bezeichnet die Basisrate.

Das grundsätzliche Problem ist, dass die Basisrate aufgrund der Neuartigkeit von COVID-19 nicht bekannt ist, aber sehr wahrscheinlich bei hospitalisierten Patienten höher ist als in der gesunden Normalbevölkerung. Eine Berechnung der Basisrate aus obiger Formel von Daten, die an schwerkranken Patienten gewonnen wurden, wäre also nicht repräsentativ für die Normalbevölkerung.

Abgesehen davon würde die oben bereits erwähnte Unsicherheit der Sensitivität des Tests eine weitere Unsicherheit für die Berechnung der Basisrate darstellen. Allein die positiven Testergebnisse bei Personen mit bereits vorhandenen COVID-19-Symptomen sind also tatsächlich für die Abschätzung der Basisrate in der Bevölkerung unbrauchbar.

Evidenz und Kausalität

Der dritte Punkt Wodarg’s spielt auf die generelle Fragwürdigkeit der Aussage eines positiven Testergebnisses an. Denn selbst wenn wir davon ausgehen, dass nach positivem Test eine Infektion mit dem SARS-CoV-2-Virus vorliegt, ist die entscheidende Frage dann:

Was ist die Evidenz dafür, dass der/die positiv Getestete die COVID-19-Krankheit entwickelt und seine/ihre Sterbewahrscheinlichkeit steigt?

In der Wissenschaftsphilosophie lässt sich Evidenz als Maß dafür auffassen, wie stark Daten eine bestimmte Hypothese gegenüber einer anderen Hypothese stützen (10). Mit anderen Worten: Evidenz misst das Gewicht einer Hypothese gegenüber einer alternativen Hypothese. Was ist also die Evidenz dafür, dass SARS-CoV-2 eine überhöhte Sterblichkeit bei Infizierten hervorruft?

Dies ist eine kausale Hypothese der Form „SARS-CoV-2 ist die Ursache dafür, dass damit infizierte Personen mit höherer Wahrscheinlichkeit sterben als durch andere normal vorkommende Viren“. Dem stellen wir die rein korrelative Hypothese der Form „SARS-CoV-2-Infektionen sind mit einem erhöhten Sterberisiko assoziiert, ohne aber die Ursache zu sein“ gegenüber.

Können wir bei Patienten zwischen beiden Hypothesen anhand des SARS-CoV-2-Tests unterscheiden? Nein, denn im Krankenhaus gibt es viele weitere Keime, an denen mit SARS-CoV-2 infizierte Patienten versterben können.

In diesem Fall wäre die SARS-CoV-2-Infektion lediglich ein Störfaktor einer anderen kausalen Beziehung, und sowohl mit der Ursache, zum Beispiel einem bestimmten Krankenhauskeim, als auch der Wirkung, überhohes Sterberisiko, assoziiert.

Ein positiver Test kann also nicht zu der Unterscheidung führen, ob man durch oder mit SARS-CoV-2 stirbt. Um Evidenz für die kausale Hypothese zu bekommen, müsste man auf alle anderen möglichen Keime testen und diese ausschließen.

Das heißt zusammengefasst, allein die positiven Testergebnisse an Patienten, die dann versterben, sind keine Evidenz dafür, dass SARS-CoV-2 ursächlich für deren Tod verantwortlich war.

Neben Wodarg macht auch der berühmte Methodiker und Public-Health-Forscher John P.A. Ioannidis, der zu den meistzitierten Wissenschaftlern der Welt gehört (11), auf die fehlende Evidenz aufmerksam, um die derzeit laufenden drastischen sozialen und wirtschaftlichen Einschränkungen zu rechtfertigen:

„(W)e are making decisions without reliable data…The current coronavirus disease, Covid-19, has been called a once-in-a-century pandemic. But it may also be a once-in-a-century evidence fiasco” (12).

Immer mehr hochkarätige Wissenschaftler schließen sich an. So schreibt der Mediziner und ehemalige Chef der anerkannten Cochrane-Kollaboration Peter C. Gøtzsche am 21. März in seinem Blog (13):

„Logik war eines der ersten Opfer der COVID-19 Krise.“

Die Logik der derzeitigen Panikverbreitung ist leider, dass Menschen wie in Italien in die generell ausgelasteten Krankenhäuser strömen, was zu überfüllten Krankenhäusern und damit höherer Mortalität führt. Eine kausale Kette, an deren Anfang Politiker und Massenmedien als Verantwortliche stehen.

Dass Journalisten gleichzeitig die Seriosität beziehungsweise „Wissenschaftlichkeit“ von kritischen Wissenschaftlern wie Wodarg infrage stellen, ist nur der Gipfel eines Berges aus Irrationalität in der derzeitigen COVID-19-Krise.


Quellen und Anmerkungen:

(1) Richter F, Hoffmann B. Coronavirus: Warum die Aussagen von Wolfgang Wodarg wenig mit Wissenschaft zu tun haben. CORRECTIV – Recherchen für die Gesellschaft. 2020 [Zugriff 21. März 2020]. https://correctiv.org/faktencheck/hintergrund/2020/03/18/coronavirus-warum-die-aussagen-von-wolfgang-wodarg-wenig-mit-wissenschaft-zu-tun-haben
(2) Taßler J, Heck J., Alles nur Panikmache?. tagesschau.de. 2020 [Zugriff 21. März 2020]. https://www.tagesschau.de/faktenfinder/corona-wodarg-101.html?utm_source=pocket-newtabhttps://www.tagesschau.de/faktenfinder/corona-wodarg-101.html?utm_source=pocket-newtab
(3) Merlot J., Die gefährlichen Falschinformationen des Wolfgang Wodarg. Spiegel. 2020 [Zugriff 21. März 2020]. https://www.spiegel.de/wissenschaft/medizin/coronavirus-die-gefaehrlichen-falschinformationen-des-wolfgang-wodarg-a-f74bc73b-aac5-469e-a4e4-2ebe7aa6c270
(4) Grubaugh ND, Petrone ME, Holmes EC., We shouldn’t worry when a virus mutates during disease outbreaks. Nat Microbiol. 2020;7–8.
(5) COVID-19-Pandemie in Deutschland. Wikipedia. 2020 [Zugriff 21. März 2020]. https://de.wikipedia.org/wiki/COVID-19-Pandemie_in_Deutschland#Todesfälle_in_den_Medien
(6) Mizumoto K, Kagaya K, Chowell G. Early epidemiological assessment of the transmission potential and virulence of 2019 Novel Coronavirus in Wuhan City: China, 2019-2020. medRxiv. 2020;2020.02.12.20022434. https://www.medrxiv.org/content/10.1101/2020.02.12.20022434v1
(7) Corman VM, Landt O, Kaiser M, Molenkamp R, Meijer A, Chu DK, et al. Detection of 2019 novel coronavirus (2019-nCoV) by real-time RT-PCR. Eurosurveillance. 2020;25:1–8. Übersetzung: „Wir berichten hier über die Einrichtung und Validierung eines diagnostischen Arbeitsablaufs für das 2019-n-CoV-Screening und die spezifische Bestätigung, der in Abwesendheit verfügbarer Virus-Isolate oder Original-Patientenproben entwickelt wurde. Design und Validierung wurden durch die enge genetische Verwandtschaft mit dem SARS-CoV von 2003 ermöglicht und durch den Einsatz der synthetischen Nukleinsäuretechnologie unterstützt.“
(8) Zhuang G, Shen M, Zeng L, Mi B, Chen F, Liu W, et al. Potential false-positive rate among the “asymptomatic infected individuals” in close contacts of COVID-19 patients. Zhonghua Liu Xing Bing Xue Za Zhi [Chinese Journal of Epidemiology]. 2020;41:485–8.
(9) Klement RJ., Die Angst-Kampagne, Rubikon; 2020, https://www.rubikon.news/artikel/die-angst-kampagne
(10) Klement RJ, Bandyopadhyay PS, Emergence and Evidence: A Close Look at Bunge’s Philosophy of Medicine. Philosophies. 2019;4:50.
(11) Ioannidis JPA, Baas J, Klavans R, Boyack KW, A standardized citation metrics author database annotated for scientific field. PLoS Biol. 2019;17:e3000384.
(12) Ioannidis JPA., A fiasco in the making? As the coronavirus pandemic takes hold, we are making decisions without reliable data. 2020 [Zugriff 21. März 2020]. https://www.statnews.com/2020/03/17/a-fiasco-in-the-making-as-the-coronavirus-pandemic-takes-hold-we-are-making-decisions-without-reliable-data/ Übersetzung: „Wir treffen Entscheidungen ohne verlässliche Daten … Die aktuelle Coronavirus-Krankheit, Covid-19, wurde als eine einmalige Pandemie des Jahrhunderts bezeichnet. Aber sie könnte auch ein einmaliges Fiasko des Jahrhunderts bezüglich der Evidenz sein.“
(13) Gøtzsche PC., Corona: an epidemic of mass panic. 2020 [Zugriff 21. März 2020]. https://www.deadlymedicines.dk/category/blog/

Zum Artikel
Dieser Beitrag erschien zuerst im Rubikon-Magazin.
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