Gesellschaft Medien Politik Wirtschaft Wissenschaft

Der neue Totalitarismus

Im Bann der Corona-Hysterie schlagen sich auch ansonsten vernünftige Menschen auf die Seite des autoritären Sicherheitsstaates.

Corona legt den Faschismus frei, der in uns allen virulent ist. Der Ruf nach der Ordnung, die uns schützt, wird groß und laut. Solange man das Ganze nur unter Solidarität segeln lassen kann, sind alle wieder bereit für den großen Bund. Reif für die Heimat.

In Italien sind bis dato bald 2.000 Menschen an der Corona-Erkrankung gestorben. Genauer wäre wohl zu sagen: Sie sind im Zeichen von Corona gestorben.

Denn in Italien wird — offenbar geschieht das nicht einheitlich so — auch post mortem getestet, Coronaviren da anzutreffen ist allein aus Wahrscheinlichkeitsgründen alles andere als überraschend.

Die Todesursache muss deswegen längst nicht immer beim Coronavirus selbst beziehungsweise einem bestimmten Coronatypus liegen.

In Deutschland starben 2016 25.000 Menschen an Grippe, auf drei Monate gerechnet: ungefähr 6.000 monatlich. Und auf die Einwohnerzahl Italiens übertragen wären das 4.500 in drei Monaten. Bis jetzt sind es im Jahr 2020 wie gesagt 2.000.

Dass nun ein Virus umgeht, steht außer Frage — und dennoch wird medial wie politisch das Wichtigste vollkommen ausgeblendet:

Die aktuelle Gesamtmortalität in Europa und in Italien liegt weiterhin im Normalbereich oder sogar darunter.

Die Welle der Hysterie zum Thema wirft viele Fragen auf. Eine der wichtigsten ist wohl: Hat sich 2016 irgendwer um die 25.000 Toten allein in Deutschland geschert? Gab es dazu irgendeine Emotion?

Die Rhetorik zielt nicht darauf, jetzt keine Emotionen zeigen zu dürfen, verweist aber darauf, wie sehr die Dinge jeder Verhältnismäßigkeit entglitten sind.

Dass das Gesundheitssystem, neoliberal zerstückelt und geglättet, mit dem Virus logistisch nicht klarkommt, ist ein anderes Thema und sollte mit der Einschränkung von Grundrechten nicht vermengt werden. Systemisch genial indes, dass über dieses zerstörte Gesundheitswesen der Ruf nach Einschränkung und Maßnahmen sich so wunderbar und effektiv erzeugen lässt. Zwei Fliegen auf einen Streich.

Es gibt den Tod und es gibt Grippeviren, die töten. Von Pandemien wird lange schon gesprochen. Szenarien werden durchgespielt. Unvorbereitet kommt das nicht. Weder die Pandemie noch die Panik.

Sollten also nicht — immerhin — diejenigen, die um die paradoxe Funktion von Panik als Sedativum wissen, auch und gerade angesichts von Krankheit und Tod eben nicht in eine Panik verfallen? Aus der heraus sich wie von selbst die Rufe nach Sicherheiten lösen? Rufe nach einer ganz und gar nicht zögerlichen Hand und am Ende nach einem übergeordneten Bund des gesunden Heils, der alles potenziell Kranke einschränkt, unter Quarantäne stellt und kontrolliert?

Sollten, so frage ich ganz naiv weiter, nicht gerade diese „Aufgeklärten“ vielmehr versuchen, wieder ein entspannteres und bewussteres Verhältnis zu Körper und Biologie, zu Sinnlichkeit und damit auch Sterblichkeit zu entwickeln?

Dumme Frage. Das Gegenteil ist der Fall. Ängste werden zelebriert und instrumentalisiert; beste Bedingungen, um letzte Freiräume zu schließen und hündische Ergebenheit flächendeckend zu implementieren.

Kurz: Ist ein Virus im Anzug, haben die hochpolitischen Nachdenkseiten- und sonstigen QuerleserInnen und -denkerInnen den ganzen Mausfeld und dessen präzise geleistete Analyse der politisch gewollten Angst- und Panikerzeugung schnell vergessen.

Dass auch alternative Medien da mittun, bestätigt meine Erfahrung der letzten Jahre: Alternative Konzepte hören spätestens angesichts des (eigenen) Todes auf, alternativ zu sein beziehungsweise münden spätestens, wenn der eigene Organismus — ich nehme mich nicht aus — in den Panikmodus wechselt, in Muster ein, die man bei Virenfreiheit selbstverständlich als neoliberal/totalitär/zerstörerisch/kriminell et cetera herausstellt.

Zu wenig Entschlossenheit bei der radikalen Einschränkung der Freiheit: So lautet der Vorwurf plötzlich — und man zeigt mit glänzenden Augen auf China, wo man dabei ist, die Epidemie selbstverständlich mit top-down-Methoden zu besiegen. Sieg heil! Irgendwann müsste man darüber nachdenken, was nach einem solchen Sieg noch bleibt.

Einen Text wie den vorliegenden zu verfassen, bedeutet nicht, nicht einzusehen, dass Corona — wie anderes auch und gar mehr noch — Anlass wäre, die Reißleine zu ziehen. Und es bedeutet nicht, nicht einzusehen, dass das Zögern, das auch alternative Kreise Behörden und Politikern vorwerfen, keine Leistung wäre, die es zu würdigen gälte.

Man darf froh sein, wenn sie zögern. Ja, es ist noch das Beste irgendwie, was man erwarten kann, aber Illusionen sollten keine aufkommen. Das Zögern erfolgt aus exakt dem gleichen Grund wie das entschlossene Zupacken und die Verstauung in Quarantäne.

Nicht das Aushebeln der „Megamaschine“ — nach Scheidler und Mumford — ist das Ziel, sondern umgekehrt: Das Ungetüm so lange wie möglich am Rattern zu halten, das ist die Vorgabe. Das ist per se nicht einfach und die Steuerung mit Viren noch anspruchsvoller, deshalb hat wahrscheinlich doch niemand die Viren in einer Tüte hinüber auf den Fischmarkt getragen.

Die einen denken, die Maschine rattere besser, wenn man gleich alles Biologisch-Organische hinter Kunststoff versenkt, die anderen, mit den genau gleichen Wertigkeiten, wenn man das eben nicht täte. Um Produktions- und Dienstleistungsketten geht es und wie der Mensch in diesen am besten verankert bleibt. Trotz Viren.

Eine klare Antwort: Gilt es Denken frühzeitig einzufrieren — und vom Denken her könnte der Maschine Gefahr drohen —, gelingt die Panik bestimmt besser. Und so darf die Ruhe zuhause nur eine panische Ruhe sein, eine Tele-Ruhe, keine Reflexionszeit.

Und deshalb die Ticker und Zahlen und das fortlaufende phonetische Rauschen auf und aus allen Kanälen.

Die Quarantäne, kein Zweifel, muss eine Angstzeit sein, in der Top-down-Pillen, wie bitter auch immer, widerstandslos geschluckt werden.

Auch in China zielten die Maßnahmen in keinem Augenblick auf Reflexion, sondern einzig und allein darauf, die Maschine wieder hochzufahren, sobald das Böse besiegt ist.

Zurück zum Anfang des Textes: Sind wir alle wirklich echt Faschisten, wenn wir nach Sicherheit rufen? Ist das nicht einfach menschlich? Zugegeben, diese Zuordnung ist reine Polemik, natürlich. Und erscheint manchem vielleicht als Bagatellisierung des realen Faschismus.

Nein, die, die die faschistischen Muster anziehen beziehungsweise auf sich ziehen, sind keine Faschisten im Sinne von Ideologen. Sie ziehen den Faschismus ja bloß an. Das politische Programm kommt von außen. Von Hitler, von Mussolini, von wem auch immer. Indes, wenn es niemanden gäbe, der das Programm auf sich zöge, gäbe es dann den Faschismus?

Die Frage muss erlaubt sein. Und wer den Begriff für Mussolini reserviert halten möchte — dafür gibt es Gründe — , ersetze ihn durch Totalitarismus bei dieser Fragestellung.

Nun, ich gehe vom Begriff aus. Lateinisch Fascie = Bund, Bündelung, Rute. Und ich glaube, dass viele, die sich für ganz und gar nicht faschistisch halten, es nicht absolut daneben fänden, wenn Quarantänen mit einem elektronischen Armband kontrolliert würden. Ausgegeben vom Staat, der Macht, dem Bund, der weiß Gott erst zur Rute wird, wenn das digitale Gerät den Übertritt vermeldet. Digitale Quarantäneüberwacher — bereits Wirklichkeit, Kennzeichnung von Infizierten, Stempelung: Wie weit liegt das alles auseinander?

In China, immerhin, wurde bei Sabotage der Virenkontrolle der Begriff Deserteur ins Spiel gebracht, vergleiche dazu auch den sehr lesenswerten Artikel von Roland Rottenfußer, bereits im Februar erschienen und inzwischen noch treffender geworden. Und wenn die Dinge doch zusammen lägen:

Wäre eine Geisteshaltung, die solchen Armbändern nicht mit radikalster Entschiedenheit entgegenträte, nicht doch als faschistisch zu bezeichnen? Rein erkenntnistheoretisch?

Braucht es dafür noch das Programm von außen her oder liegt nicht vielmehr das Programm im Innern schon vor, bevor es ein Mussolini noch orchestriert? Und bedeutete dieses innere Vorliegen nicht eher eine Verschärfung und keine Bagatellisierung des Begriffs des Faschismus? Oder eben: Totalitarismus? Und damit eine Verschärfung dessen, was im Zusammenhang mit Corona in Angst einflößender Selbstverständlichkeit gefordert und vollzogen wird?

Vielleicht werden Menschen nicht zu Nazis, weil es böse Politiker gibt, Höckes und so, die sie verführen, sondern weil in ihnen Muster angelegt sind. Muster, denen man sich stellen müsste, bevor die Muster durch ihre Eigenschaft, starke Hände anzuziehen, dafür sorgen, dass auch die Welt so wird, wie es die Muster im Innern schon sind.

Corona, so mein Eindruck, löst so in etwa das Gegenteil dieses „Sich-Stellens“ aus. Es stärkt die Muster und tötet bei zu vielen das Denken ganz.


Quellen und Anmerkungen:

Anmerkung 1: Ich habe in den letzten drei Monaten mehrere Narkose-OPs gehabt, bin über 50 und ich schreibe also durchaus als jemand, dessen Immunsystem aktuell nicht die besten Voraussetzungen hätte, mit dem Virus klarzukommen. Dies nur, um einfachsten Einwänden vorzubeugen.

Anmerkung 2: Vor lauter Panik ist‘s stiller geworden um den bösen Russen, haben Sie es bemerkt? Dass BILD und taz und FAZDie Zeit und Die WeltDer Spiegel und Claus Kleber vom ZDF bislang für die ganze Virenmisere nicht Putin verantwortlich gemacht haben: erstaunlich. Zu sehr in Panik? Oder doch zu wenig?

Zum Artikel

Dieses Werk ist unter einer Creative Commons-Lizenz (Namensnennung – Nicht kommerziell – Keine Bearbeitungen 4.0 International) lizenziert. Unter Einhaltung der Lizenzbedingungen dürfen Sie es verbreiten und vervielfältigen.
Spendenkonto für die Gerichtsverfahren gegen den Stern/Bertelsmann-Konzern

Kommentar hinterlassen