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Schulklauoffensive

Berlin macht seine maroden Bildungsanstalten flott. Und fertig zum Ausverkauf! Die Linke mischt gerne mit.

Rückblende: Am 31. März steht im Bundesrat die sogenannte Ausländermaut zur Abstimmung. Das Projekt ist eine Herzensangelegenheit der CSU, in Politik- und Expertenkreisen hochumstritten und für sich betrachtet kompletter Nonsens. Die prognostizierten Einnahmen bewegen sich auf kümmerlichem Niveau und rechtfertigen den Aufwand nicht. Für die Bundesregierung könnte es eng werden. Zünglein an der Waage ist das Land Thüringen: Von seinem Votum hängt es ab, ob das Gesetzgebungsverfahren den Umweg über den Vermittlungsausschuss nehmen muss und womöglich vor der Bundestagswahl nicht mehr abzuschließen wäre. Mithin könnte sich die Sache so gleich ganz erledigen.

Dann geschieht Bemerkenswertes: Thüringens Ministerpräsident Bodo Ramelow (Die Linke) enthält sich der Stimme und gibt damit grünes Licht für ein Vorhaben, das seine Partei ebenso wie die Koalitionspartner von SPD und Grünen ausdrücklich ablehnen. Anschließend lässt der Regierungschef freimütig durchblicken, dass er durch Bundesverkehrsminister Alexander Dobrindt (CSU) die mündliche Zusage für ein regionales Bahnprojekt erhalten und deshalb von einem „Nein“ abgesehen habe. Er rühmt sich gar damit, so dem Landeswohl zu dienen, nicht ohne hinzuzusetzen, eigentlich weiterhin gegen die Pkw-Maut zu sein.

Zeitsprung: Am 2. Juni behandelt die Länderkammer das Gesetzespaket zur Neuordnung der Bund-Länder-Finanzbeziehungen. Ein zentraler Punkt ist die Schaffung einer „Infrastrukturgesellschaft Verkehr“ in Bundeshoheit, die 2021 die Zuständigkeit für Planung, Bau, Unterhaltung und Betrieb der deutschen Fernstraßen übernehmen soll. Bisher erledigen das die Bundesländer. Für Kritiker ist die „Reform“ ein Masterplan zum schrittweisen Ausverkauf der Autobahnen an Banken und Versicherungen und das geplante Konstrukt eine „ÖPP-Maschine“, um das Straßennetz insbesondere mittels öffentlich-privater Partnerschaften unter den Hammer zu bringen.

Eingebildete Erpressung

Das findet auch die Linkspartei, weshalb ihre Abgeordneten tags zuvor geschlossen gegen die Vorlagen im Reichstag gestimmt haben. In einer fulminanten Rede riss dabei Fraktionschefin Sahra Wagenknecht das Konzept förmlich in Fetzen und warnte: „Heute entscheiden Sie, ob ein knapp 13.000 Kilometer langes Straßennetz, das Generationen von Steuerzahlerinnen und Steuerzahlern aufgebaut und finanziert haben, in Zukunft zu einer Melkkuh für private Profite gemacht werden kann oder nicht.“ Union und SPD entschieden sich dafür und brachten die erforderliche Zwei-Drittel-Mehrheit locker ins Ziel.

Jetzt fehlt noch der Segen der Landesfürsten. Die treten ihre Kompetenzen im Straßenbau nur ungern ab, bekommen aber zum Ausgleich Milliardenhilfen vom Bund zugeschanzt. Thüringen sowie die ebenfalls mit Beteiligung der Linkspartei regierten Länder Brandenburg und Berlin prangern den Kuhhandel in einem separaten Antrag an. Der wird erwartungsgemäß niedergestimmt, danach folgt die Hauptabstimmung. Alle 16 Länder geben ihr Okay – auch Brandenburg, Berlin und Thüringen. Ramelow parliert nachher sinngemäß von gesamtstaatlicher Verantwortung, davon, seine Länderkollegen nicht düpieren zu wollen und von „Erpressung“, nach dem Muster: Mehr Geld vom Bund gibt es nur gegen die Autobahn-Gesellschaft – Frechheit.

Aber wieso Erpressung? Ein Für oder ein Wider durch Erfurt, Potsdam und Berlin im Bundesrat war arithmetisch ohne Relevanz, zur nötigen Mehrheit für den Bund-Länder-Finanzpakt brauchte es deren Zuspruch gar nicht. Was die Frage aufwirft, warum der linke Landesvater nicht die Gelegenheit nutzte, sichtbar Flagge zu zeigen im Kampf gegen Privatisierungen und den Ausverkauf der staatlichen Infrastruktur, so wie am Vortag die linke Bundestagsfraktion. Dazu hätte es gereicht, sich beim Votum zu enthalten – der übliche Weg, wenn sich eine Koalition bei einem Thema nicht einig wird. Man bedenke dazu, dass die Bundestagswahl näher rückte, und stelle sich den knackigen Slogan vor: „Alle wollen die Autobahnen verhökern, nur Die Linke macht nicht mit.“ Es kam anders und beim aufmerksamen Zeitzeugen blieb von diesem Tag eher das hängen: „Die Linke macht doch bei allem mit und Staatsräson ist ihr wichtiger als die öffentliche Daseinsvorsorge.“

Realo-Ramelow

Die Merkwürdigkeit, dass Ramelow der Bundesregierung binnen weniger Wochen gleich zweimal zur Durchsetzung höchst unpopulärer Projekte verhalf, könnte dadurch begreiflicher werden, dass beide Projekte aufs Engste zusammenhängen. Tatsächlich ist nämlich die Ausländermaut nur der Auftakt und die zwingende Voraussetzung für das „Gelingen“ der kommenden Autobahn-GmbH. Das ist keine haltlose Behauptung, sondert steht so in einem geheimen Rechtsgutachten der Wirtschaftskanzlei Graf von Westphalen (GvW), aus dem am 23. März die Berliner Zeitung zitierte.

Das rund 1.000-seitige Papier ist so etwas wie das Betriebssystem der Infrastrukturgesellschaft und an einer Stelle heißt es darin: „Perspektivisch soll die Finanzierung der Bundesautobahnen auf Basis unmittelbar vom Nutzer bereitgestellter Finanzierungsbeträge vollständig außerhalb des Bundeshaushalts sichergestellt und abgewickelt werden können.“ Skizziert wird in der Folge der Mechanismus einer sogar sukzessiv steigenden Abgabe, von dem der Finanzexperte der Grünen im Bundestag, Sven-Christian Kindler, sagte: „Mauterhöhungen für alle sind nach den Plänen der Bundesregierung so sicher wie das Amen in der Kirche.“

Hat Ramelow davon nichts geahnt? Oder will er mithin selbst die Autofahrer schröpfen und das Straßennetz verscherbeln? Letzteres muss man ihm nicht unterstellen. Mutmaßen lässt sich gleichwohl, ob der Preis für den von Dobrindt versprochenen Bahntrassenausbau zwischen Weimar und Gößnitz neben dem „Ja“ zur Ausländermaut auch das „Ja“ zur Autobahn-GmbH mit einschloss. Realo-Ramelow gilt als gewiefter Pragmatiker. Vom ersten Projekt glaubt er ohnehin, dass es der Europäische Gerichtshof (EuGH) wieder kassieren wird, und beim zweiten fehlte ihm wegen der Kräfteverhältnisse im Ländergremium faktisch jede Handhabe, es zu verhindern. Wozu also den „Sturkopf“ im Bundesrat markieren, wenn er damit sein Land bei der Verteilung der schönen, neuen Bundesmilliarden ins Hintertreffen manövriert? Das wären dann immerhin mildernde Umstände für ein Vorgehen, das vielleicht den Thüringern irgendwie und irgendwann zum Vorteil gereichen mag, aber der Glaubwürdigkeit der Linkspartei insgesamt schweren Schaden zufügt.

In schlechter Gesellschaft

Aus Fehlern sollte man eigentlich lernen. Aber nicht Die Linke – die setzt noch einen drauf und macht sich bei ihren Anhängern noch unmöglicher. In Berlin schickt sie sich als Teil des von SPD, Grünen und Linkspartei getragenen Senats gerade an, die jahrzehntelang runtergewirtschaftete Bildungslandschaft auf Vordermann zu bringen. Was gut klingt und vielleicht gut gemeint ist, hat einen gewaltigen Haken: Die Landeregierung will bei ihrer „Schulbauoffensive“ den praktisch gleichen Weg beschreiten wie die Bundesregierung beim Fernstraßenbau. Gebäude und Grundstücke sollen an eine privatrechtliche Sanierungsgesellschaft übertragen und der öffentlichen Zuständigkeit entzogen werden. Das zu gründende Unternehmen bliebe dabei zu 100 Prozent in Landesbesitz, würde aber in die Lage versetzt, sich auf dem freien Kapitalmarkt zu verschulden.

In Grundzügen und nach dem, was bisher bekannt ist, plant die rot-rot-grüne Koalition folgende Schritte: Insgesamt sollen 5,5 Milliarden Euro bis zum Jahr 2026 in Neubau und Renovierung der maroden Berliner Lehranstalten investiert werden. Allein bis 2021 sollen 51 neue Schulgebäude errichtet und weitere 67 instandgesetzt oder erweitert werden. Bis zu vier Milliarden Euro will man dafür aus der Haushaltskasse beziehungsweise dem „Sondervermögen Infrastruktur der Wachsenden Stadt“ (SIWA) mobilisieren. Was aus Landesmitteln nicht zu schaffen ist, soll die geplante Schulbau-Gesellschaft über Bankkredite eintreiben, die Rede ist von bis zu 1,5 Milliarden Euro.

Die GmbH will man bis 2018 errichtet haben und unter dem Dach der landeseigenen Wohnungsbaugesellschaft Howoge ansiedeln. Sie soll alle größeren Bauprojekte im Volumen von über zehn Millionen Euro verantworten, indem die fraglichen Gebäude und Grundstücke, beziehungsweise die Erbbaurechte daran, zur Besicherung der aufzunehmenden Kredite für die Dauer von 25 oder 30 Jahren auf sie überschrieben werden. Die Bezirke, die bisher die Alleinzuständigkeit für die Schulen innehaben, müssten die Immobilien für die Dauer der Laufzeit zurückmieten, bis sie – so der erklärte Wille – danach wieder in ihr Eigentum übergehen. Baumaßnahmen bis 5,5 Millionen Euro sollen in bezirklicher Verantwortung verbleiben, solche zwischen 5,5 und zehn Millionen Euro können optional dem Land (beziehungsweise der Schulbau-GmbH) überlassen werden.

Masterplan zur Privatisierung

Öffentlich vernehmbare Kritik an den Plänen kommt, wie schon beim Thema Autobahn-GmbH, bisher fast ausschließlich vom Verein Gemeingut in BürgerInnenhand (GiB). Im Falle ihrer Umsetzung fürchten die Aktivisten einen Dammbruch für die ganze Republik. In einem Infobrief mit dem Titel „kein Freifahrtschein für Privatisierung“ verweisen sie auf ein Strategiepapier der Wirtschaftsprüfungsgesellschaft PricewaterhouseCoopers (pwc), das sich wie eine Blaupause der Berliner „Schulbauoffensive“ liest. Das Gutachten hatte Ex-Wirtschaftsminister Sigmar Gabriel (SPD) als Initiator der 2014 einberufenen „Expertenkommission zur Stärkung von Investitionen in Deutschland“ (Fratzscher-Kommission) bestellt. Darin wird beschrieben, wie sich neben Fernstraßen auch staatliche Schulen in hochprofitable Anlagen für die unter Niedrigzinsen ächzenden Banken und Versicherungen verwandeln lassen. Laut GiB-Sprecher Carl Waßmuth machten der Berliner Senat und andere Regierungen nun Anstalten, „genau diesen Masterplan zur Privatisierung Stück für Stück abzuarbeiten“.

An dieser Stelle wird die ganze Dimension von Ramelows „freundlicher Unterstützung“ für die Bundesregierung und ihre neoliberale Mission erst ersichtlich. Der „Masterplan zur Privatisierung der Schulen“ wurde nämlich bereits und fast insgeheim, weil quasi als Fußnote der großen Bund-Länder-Finanzreform, von Bundestag und Bundesrat auf den Weg gebracht. Weil sich die öffentliche Aufmerksamkeit bis zuletzt auf das Gerangel zwischen Union und SPD um Grenzen und Freiheiten der kommenden Autobahn-GmbH richtete, rutschte dieser Punkt komplett unten durch. Noch dazu bedienten sich die Protagonisten eines propagandistischen Kniffs, indem sie ihren Angriff auf die Schulen als Schlag gegen das sogenannte Kooperationsverbot im Bildungsbereich verkauften. Dieses wurde 2006 per Föderalismusreform in die Verfassung gehievt und untersagt es dem Bund, dauerhaft in Kitas und Schulen zu investieren. (Für die Hochschulen wurde der Passus inzwischen aufgeweicht.) Bei den Menschen im Land ist die Regelung überaus unbeliebt, weil sie mit ursächlich dafür ist, dass bitter nötige Investitionen in die Bildungseinrichtungen unterbleiben.

Das soll und dürfte sich demnächst tatsächlich ändern. Mit dem ebenfalls durch Zwei-Drittel-Mehrheit neu geschaffenen Grundgesetzartikel 104c soll der Bund finanzschwachen Gemeinden in Zukunft Investitionszuschüsse zum Bau und zur Instandsetzung von Schulgebäuden bewilligen (vergleiche dazu den Beitrag im Rubikon vom 15. Juni 2017). Im zugehörigen Begleitgesetz sind dafür zunächst 3,5 Milliarden Euro veranschlagt. Und Geld zur Modernisierung ihrer Schulen könnten gewiss auch Thüringens Kommunen gut gebrauchen. Allerdings wird es das nicht ohne Bedingungen geben. Vielmehr hat der Gesetzgeber seine besondere Vorliebe für ÖPPs ins novellierte Kommunalinvestitionsförderungsgesetz hineingeschrieben. „Förderfähig sind auch Investitionsvorhaben, bei denen sich die öffentliche Verwaltung (…) eines Privaten im Rahmen einer vertraglichen Zusammenarbeit bedient. Dabei kann sie dem privaten Vertragspartner für den investiven Kostenanteil des Vorhabens eine einmalige Vorabfinanzierung gewähren – im Folgenden Vorabfinanzierungs-ÖPP (Öffentlich Private Partnerschaft).“

Friss oder stirb!

ÖPPs bleiben damit zwar formell bloß eine Option unter anderen. Angesichts der personell ausgezehrten kommunalen Planungs- und Bauämter und der Vorgabe, dass die zeitlich befristeten Bundesmittel zügig, das heißt, spätestens bis 2023 abgerechnet werden müssen (wobei im Fall der ÖPP-Variante qua Gesetz ein Jahr Aufschub winkt), wird der Griff nach dem Instrument praktisch zum einzigen Ausweg – nach dem Motto: Friss oder stirb! Faktisch schafft die Bundesregierung mit ihrer vermeintlichen Spendierlaune einen neuen Sachzwang, sich der Hilfe der Privaten zu bedienen. Lässt man es, leckt die Turnhallendecke eben noch Jahre weiter.

Der im Frühsommer von den Regierenden in Bund und Ländern beschlossene Gesamtkomplex umfasst also neben den Vorarbeiten zum Ausverkauf der Bundesfernstraßen auch eine Weichenstellung in Richtung Privatisierung der Schulinfrastruktur. Und auch hierfür hoben Bodo Ramelow und mit ihm seine Parteifreunde in Brandenburg und Berlin den Finger. Aber haben sie auch das nur gemacht, weil sie „erpresst“ wurden und „Widerstand“ sowieso zwecklos war?

Aufschlussreich ist in diesem Zusammenhang die zeitliche Abfolge der Ereignisse: Tatsächlich ist Berlins linker Ex-Wirtschaftssenator Harald Wolf mit der Idee einer Schulbau-Gesellschaft schon im Juli 2016 hausieren gegangen. „Was wir vorschlagen, ist die ,Dicke Berta‘, von der Mario Draghi immer spricht“, tönte er seinerzeit vor Pressevertretern. Anfang April dieses Jahres war es dann Stadtentwicklungssenatorin Katrin Lompscher (Linke), die gemeinsam mit Bildungssenatorin Sandra Scheeres (SPD) die Vorlage zur „Schulbauoffensive“ ganz offiziell im Namen des Senats präsentierte. Von da an gingen noch fast zwei Monate bis zur Beschlussfassung zum Bund-Länder-Finanzpakt ins Land.

Öffentlich-öffentliche Partnerschaft!?

Man male sich aus, die Linke wäre in dieser Phase mit aller Entschieden- und Geschlossenheit gegen den geplanten Komplott zur Autobahn- und Schulprivatisierung zu Felde gezogen. Hätte man dann im Land Berlin guten Gewissens ein Projekt vorantreiben können, das sich zwecks Sanierung der Schulen derselben Konstruktionen bedient, wie es im Bund für den Ausverkauf der Fernstraßen ausgeheckt wurde? Und das dazu noch Anleihen nimmt bei einem ähnlich gelagerten Vorhaben der Bundesregierung, privates Kapital für Schulsanierungen zu erschließen. Ein Projekt, das exakt die gesetzlichen und organisatorischen Strukturen schafft, auf die die künftige ÖPP-Förderpolitik des Bundes wie maßgeschneidert aufsetzen kann. Denn mit einer GmbH in Privatrecht dealen Banker, Versicherer und Fondsmanager allemal lieber als mit einem Land, einer Kommune oder einer Anstalt des öffentlichen Rechts (AöR). Wie hätte also Die Linke den Wählern länger beibiegen wollen, „gegen weitere Privatisierungen öffentlicher Daseinsvorsorge“ zu Felde zu ziehen (Linke-Chefin Katja Kipping), wenn aller Welt klar gewesen wäre, dass die Berliner Genossen dem schönen Versprechen gerade diametral zuwiderhandeln?

Für die Hauptstadt-Linke und mit ihr wohl auch Ramelow sind das gewiss böswillige Fragen. Schließlich ist das, was sie vorhaben, und auf diese Formel legen alle Beteiligten großen Wert, eine öffentlich-öffentliche Partnerschaft (ÖÖP) – eben weil hier ja ein Land mit einem Landesunternehmen Geschäfte macht. „Die geplante Offensive beim Schulbau ist weder ein Ausverkauf noch eine Privatisierung öffentlichen Vermögens“, wehrte so auch Finanzsenator Matthias Kollatz-Ahnen (SPD) ab. Eine Beteiligung Dritter wäre „nur mit Zustimmung“ des Finanzressorts möglich, „bei direkter Beteiligung an der Howoge nur mit Zustimmung des Abgeordnetenhauses“.

Den guten Willen und Glauben muss man dem Mann gar nicht absprechen, aber mehr Blauäugigkeit geht fast nicht. Was geschieht beispielsweise, wenn 2021 oder später die CDU und FDP das Rote Rathaus erobern und sich flugs daran machen, die Schulbau-GmbH oder gleich die ganze Howoge zu veräußern. Wer oder was wollte sie daran hindern? Ein dauerhaft wirksames Verkaufsverbot einer Landesgesellschaft ließe sich bloß mit Zwei-Drittel-Mehrheit in der Landesverfassung verankern. Über diese verfügt Rot-Rot-Grün jedoch nicht. Eine Garantie, dass die Schulen letztlich wieder in den Besitz der Bezirke übergehen, wie diese das fordern, kann die Regierung schlicht nicht liefern, so wenig wie einen Schutzschirm gegen den großen Schulausverkauf.

Schulen wie Freiwild

Zwar ließe sich eine Privatisierungsschranke mit einfachem Gesetz installieren, worauf es auch hinauslaufen dürfte. Aber diese könnten nachfolgende Regierungen genauso leicht wieder abräumen. So gesehen erscheint das Modell Schulbau-GmbH sogar bedrohlicher als das der Autobahn-Gesellschaft. Auf öffentlichen Druck hin war die große Koalition immerhin genötigt, eine materielle Privatisierung auszuschließen, indem sie die „Unveräußerlichkeit“ von Bundesfernstraßen und Verkehrsinfrastrukturgesellschaft im Grundgesetz festschrieb. Zwar bestehen Möglichkeiten zur funktionalen Privatisierung, insbesondere über den Hebel ÖPP, auch in der beschlossenen Konfiguration. Trotzdem wären die Berliner Bildungsanstalten, kommt es so wie beabsichtigt, verglichen damit förmlich Freiwild.

Ohnedies hat die „Versicherung“ gerade des amtierenden Senats, das Landeseigentum zu schützen, eine ziemlich bittere Komik. Waren es doch SPD und die Linkspartei-Vorgängerin PDS, die 2004 als rot-rotes Regierungsbündnis die Gemeinnützige Siedlungs- und Wohnungsbaugesellschaft (GSW) mit über 65.000 Wohnungen verramschten. Mit diesem Schurkenstück wurden maßgebliche Vorarbeiten für die grassierende Mietwucherei und Gentrifizierung auf dem hauptstädtischen Wohnungsmarkt geleistet. Und es könnte noch schlimmer kommen: Die GSW Immobilien AG ist heute eine Tochter der Deutsche Wohnen Gruppe, die gerade drauf und dran ist, den Berliner Mietspiegel vorm Landesverfassungsgericht zu kippen.

Lehrreich ist auch die Gegenwart: Die jüngste durch den linken Kultursenator Klaus Lederer vollbrachte „Reform“ betrifft die Buch- und Medienauswahl der Zentral- und Landesbibliothek Berlin (ZLB). Diese wird neuerdings nahezu vollständig durch den Großbuchhändler Hugendubel erledigt. Für die Dienstleistungsgewerkschaft ver.di ist das eine lupenreine Privatisierung, in deren Gefolge hauptamtliche Lektoren weggekürzt und das Medienangebot in Vielfalt und Niveau drastisch abflachen würden.

Investmentfonds und Steueroasen

Finanzsenator Kollatz-Ahnen tut derweil so, als wäre die Überführung öffentlicher Infrastruktur ins Privatrecht eine schnöde Formalie. „Wenn die städtischen Wohnungsbaugesellschaften Wohnungen bauen, entstehen Wohnungen im öffentlichen Eigentum. Wenn diese Schulen bauen, entstehen Schulen im öffentlichen Eigentum“, gab er auf Anfrage zu verstehen. Die Aussage spricht wahlweise für pathologische Naivität oder dafür, die Bürger schamlos für dumm zu verkaufen. Die Deutsche Bahn ist auch (noch) ein 100-prozentiger Staatsbetrieb, streicht aber in großem Stil den Regionalverkehr zusammen, spart sich Instandhaltungsmaßnahmen und verlegt mit ihrer Logistiktochter Schenker massenhaft Güter von der Schiene auf die Straße. Die Bahn AG von heute hat mit der Staatsbahn der Zeiten vor der großen Bahnreform der 1990er Jahre kaum noch etwas gemein, was übrigens auch immer wieder Die Linke anprangert. Und Schule verändert sich natürlich, sobald eine GmbH sie verwaltet.

Die Wandlung vollzieht sich nicht von jetzt auf gleich, womöglich passiert auch noch nichts Gravierendes unter der Regentschaft der Ampelkoalition. Aber was kommt danach? Ein GiB-Flugblatt beschreibt die Möglichkeiten: „Ihr habt einen großen Schulhof mit alten Bäumen? Die Bäume werden gefällt, der Schulhof aufgeteilt. Ein Teil wird verkauft und bebaut! Die Parkplätze auch! Kuchenbasar und Spendenlauf am Wochenende auf dem Schulgelände? Abendveranstaltungen in der Schule? Je 1.000 Euro Extramiete bitte!“ Verwiesen wird außerdem auf ein ÖPP-Projekt im schottischen Edinburgh. Seit ihrer Quasiprivatisierung im Jahr 2003 seien die betreffenden Schulen „sage und schreibe 13 Mal“ weiterverkauft worden. Die aktuellen Eigentümer wären Investmentfonds mit Sitz in Steueroasen. Untersuchungen hätten gezeigt: „Die Schulen sind marode! 17 davon mussten für Monate geschlossen werden.“

Vorbild Hamburg?

Man braucht gar nicht nach Edinburgh zu schauen. In Hamburg erfolgen Neubau, Sanierung und Bewirtschaftung der allgemeinbildenden Schulen seit sieben Jahren unter Regie des Landesbetriebs „Schulbau Hamburg“ (SBH). Die zu 100 Prozent staatliche Gesellschaft ist „Herrin“ über 400 Schulen mit insgesamt 3.000 Gebäuden und kann über das sogenannte Sondervermögen Schulimmobilien zur Erledigung ihrer Aufgaben Kredite am freien Kapitalmarkt aufnehmen. Seither tat sich allerhand, es wurde viel investiert und viel saniert – und viel Profit gemacht. Nach einer Recherche von GiB lagen die durchschnittlichen Kreditzinsen für die angestoßenen Geschäfte im Jahr 2015 bei 7,8 Prozent, im Folgejahr bei 5,3 Prozent und damit um drei beziehungsweise fünf Prozent über den Raten anderer landeseigener Betriebe. Noch viel größer fällt der Zinsnachteil verglichen mit einer klassischen Beschaffungsmaßnahme aus dem Landeshaushalt an. So werden etwa für das Land Berlin im Falle von Staatsanleihen mit zehnjähriger Laufzeit (2016 bis 2026) lediglich 0,625 Prozent Zinsen fällig.

Das Hamburger Modell ist aber nicht nur überteuert, sondern dazu ein radikales Bildungskürzungsprogramm. Weil kleinere Schulen geringere Mieten bedeuten, setzt der von SPD und Grünen gestellte Senat auf eine Reduzierung von Flächen durch Veräußerung. Nach Angaben der SBH wurden 2010 noch mindestens 11,6 Quadratmeter Schulfläche (im Innenbereich) pro Schüler vorgehalten, Ende 2016 nur noch 10,9 Prozent. Im selben Zeitraum hat die Schülerzahl in der Hansestadt um 1,8 Prozent zugelegt. Der Landesverband der Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft (GEW) prognostizierte 2014, dass bis 2016 unter Mitberücksichtigung von Außenflächen (zum Beispiel Pausenhof) insgesamt 300.000 Quadratmeter aus der schulischen Nutzung herausgefallen sein werden.

Dazu kommt: Seit 2012 werden die 15 Berufsschulen der Stadt in öffentlicher-privater Partnerschaft (ÖPP) bewirtschaftet. Das Land kooperiert dabei mit der HEOS Berufsschulen Hamburg GmbH & Co KG, einer eigens für das Projekt gegründeten Projektgesellschaft der STRABAG Real Estate GmbH und der Otto Wulff Bauunternehmung GmbH. Als Vertragspartner auf städtischer Seite firmiert die SBH, also die Schulbau-Gesellschaft. Bei Vertragsabschluss erklärten die Beteiligten, der Wirtschaftlichkeitsvorteil der Kooperation betrage 14 Prozent gegenüber den Kosten einer Eigenerledigung durch die öffentliche Hand. Erinnert sei hier an das Desaster im Landkreis Offenbach: Den Betrieb der dort seit 13 Jahren in ÖPP-Regie bewirtschafteten knapp 90 Schulen erhält die Kommune einzig mit Kassenkrediten aufrecht. Bis 2019 drohen die Kosten laut hessischem Rechnungshof die ursprüngliche Kalkulation um 367 Millionen Euro zu sprengen.

Böse Falle Schuldenbremse

Ihre Initiative macht die Berliner Linkspartei vor allem deshalb so stolz, weil sie glaubt, damit die sogenannte Schuldenbremse auszutricksen. Die tritt in Berlin 2020 in Kraft und wird die Möglichkeit von Investitionen in die öffentliche Daseinsvorsorge noch einmal erheblich einschränken. In einer Stellungnahme hebt Steffen Zillich, parlamentarischer Geschäftsführer und haushaltspolitischer Sprecher der Linksfraktion im Abgeordnetenhaus, die vermeintliche Überlegenheit von ÖÖP gegenüber ÖPP hervor. „Nutznießer daraus wären die beauftragten Privaten, bei denen zusätzlich zu ihrer Rendite auch noch höhere Finanzierungskosten als im öffentlichen Sektor zu Buche schlagen würden. Das wäre mit der Schuldenbremse vereinbar, wenn nicht gar mit ihr intendiert, ist aber weder für uns als Linksfraktion noch für die Koalition als Ganzes ein gangbarer Weg.“

Das ist eine drollige Argumentation. Aus einer zutreffenden Bestandsaufnahme wird der genau falsche Schluss gezogen. Denn ÖPP sind, ebenso wie ÖÖP, ganz im Sinne der Erfinder der „Schuldenbremse“, die den Staat unter dem Vorwand des Schuldenabbaus zur Übertragung seiner Aufgaben an Private nötigt. Allerdings schlägt die Auslagerung langfristig mit viel höheren Kosten für den Steuerzahler zu Buche, weil dabei eine Rendite generiert wird. Nun mag die Gewinnspanne für eine Bank bei der Kreditvergabe an einen Landesbetrieb geringer sein als für einen Investor bei einem ÖPP-Deal. Günstiger für die öffentliche Hand wäre aber in jedem Fall eine klassische Kreditaufnahme des Landes Berlin über die Ausgabe von Staatsanleihen.

Nimmt die künftige Howoge-Tochter Kredite am Kapitalmarkt auf, muss das Land seine Verbindlichkeiten nicht im Haushalt abbilden. Mit der Schulbau-GmbH werden also Investitionen in Schattenhaushalte verschoben, um damit die „Schuldenbremse“ und die EU-Stabilitätskriterien zu umgehen. Damit spielt ausgerechnet die Linkspartei das böse Spiel der Neoliberalen mit, anstatt es zu entblößen und zu bekämpfen. Die infamste Lüge bei all dem ist, durch haushälterische Mäßigung würden kommende Generationen entlastet. Richtig ist: Über den Schleichweg ÖPP und ÖÖP werden kommende Generationen zugunsten der Profite von Banken, Versicherungen und Hedgefonds abkassiert. Das heißt: Die „Schuldenbremse“ bremst die Schulden nicht aus, sie „vermehrt“ sie. Schlimmer noch: Sobald die Gewinne eingestrichen sind, werden die Profiteure die Infrastruktur wieder sich selbst überlassen und in 25 Jahren sehen die Schulen dann so erbärmlich aus wie heute.

Ausgeblutete Behörden

Der einzig vernünftige Schluss für eine linke, wahrhaft fortschrittliche Partei wäre deshalb der, für die Zerschlagung der Schuldenbremse einzutreten, anstatt sich ihrer perfiden Logik zu unterwerfen. Genau diese Forderung wird innerhalb der Partei auch erhoben. Die Bezirksverbände Neukölln und Spandau werden zum kommenden Landesparteitag am 25. November einen Antrag auf Ablehnung der Senatspläne einreichen. „Keinesfalls darf eine privatwirtschaftliche Gesellschaft unter welchem Dach auch immer mit der Aufgabe des Schulneubaus beauftragt werden“, heißt es darin.

Die Schuldenbremse solle nicht umgangen, „sondern muss politisch bekämpft und abgeschafft werden“.

Zum bösen und falschen Spiel im Fall Berlin gehört auch: Das Geld für den Schulbau ist eigentlich vorhanden. Allerdings sind die Planungs- und Bauämter der Bezirke nach jahrelanger, auch durch die Linkspartei forcierter, Kürzungspolitik personell so ausgeblutet, dass sie die Aufgaben nicht bewältigen können. GiB hat in einer Kurzstudie errechnet, dass von den für 2017 laut Haushaltsplan verfügbaren 830 Millionen Euro wegen fehlender Kapazitäten und Engpässen in der Bauwirtschaft bis zum Jahresende lediglich rund 250 Millionen Euro abgerufen und verbaut sein werden. Der Senat möchte dem zwar mit einer Einstellungsoffensive und der Bündelung von Kräften bei Arbeitskräfterekrutierung sowie Ausschreibungs- und Vergabeverfahren durch Einrichtung überbezirklicher Regionalverbünde beikommen.

Allerdings dürfte das nicht reichen. „So kritisch wie jetzt war der Personalmarkt auch bei früheren Hochkonjunkturphasen noch nie“, gab in der Berliner Zeitung der ehemalige Professor für Bauökonomie, Bernd Kochendörfer, zu bedenken. Und weiter: „Dieses Bauvolumen ist so nicht zu schaffen.“ Kritiker haben obendrein die Sorge, die künftige Schulbau-GmbH könnte den Bezirken die dringend erforderlichen Architekten und Ingenieure wegen ihrer größeren Flexibilität bei der Anstellung und Besoldung abjagen. Mit der neuen Gesellschaft drohen die personellen Nöte also mitunter noch größer zu werden. Die GmbH selbst könnte dann wiederum als „Retter“ auf den Plan treten und den Bezirken mithin sämtliche Projekte zwischen 5,5 und zehn Millionen Euro abnehmen, die sie laut Vereinbarung wahlweise auch selbst erledigen dürften.

Was die Zukunft bringt

Denkbar und angesichts der Herausforderungen durchaus absehbar ist überdies, dass die Schulbau-Gesellschaft selbst unter der Last in die Knie geht und sich in ihrer „Not“ externer Zuarbeit, namentlich aus der Privatwirtschaft, bedienen wird. Spätestens dann, so GiB-Sprecher, Waßmuth hätten die „Zauberlehrlinge von Rot-Rot-Grün das nicht mehr im Griff“ und müssten mitansehen, wie die GmbH alle ihr übertragenen Aufgaben privatisiert, indem sie beispielsweise ÖÖPs eingeht oder anderweitig Investoren an Land zieht. Am Ende des Prozesses stünde womöglich die Veräußerung der Gesellschaft samt Schulgebäuden und Grundstücken, die Rot-Rot-Grün einst im Jahr 2018 zu einem handlichen verkaufsfertigen Bündel zusammengepackt hatte. Das wäre dann die materielle Privatisierung, die die Linkspartei, in der Opposition, ganz bestimmt als „schlimme Gaunerei“ geißeln wird. Oder sie regiert wieder mit und verhindert damit „Schlimmeres“. Und Bodo Ramelow? Der hat all das nicht kommen sehen.

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Dieser Artikel erschien als Erstveröffentlichung im Magazin Rubikon.

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2 Kommentare

  1. Ich kann mich an die Zeit vor ca. 50 Jahren erinnern, als die Jusos in Demonstrationen lauthals tönten: „Gewinne privatisieren, Schulden sozialisieren, nicht mit uns. Das ist Kapitalismus!“ Aber die Zeiten haben sich geändert, nachdem die Linken an die Futtertrögeder Macht, in die Politik eingezogen sind. Jetzt spielen sie die Zuhälter der „Kapitalisten“!

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